Der späte Vogel fängt den Wurm

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Lang ersehnte Pension? Der Rückzug aus dem Beruf tut älteren Menschen meist gar nicht gut. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen streben nach Umsetzung. Immer mehr Ältere erkennen das und möchten auch nach ihrer Pensionierung noch aktiv sein.

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Lang ersehnte Pension? Der Rückzug aus dem Beruf tut älteren Menschen meist gar nicht gut. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen streben nach Umsetzung. Immer mehr Ältere erkennen das und möchten auch nach ihrer Pensionierung noch aktiv sein.

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Mir war immer klar, dass ich nicht mit 65 Jahren in den Ruhestand gehen will. Das Finanzielle spielt dabei keine Rolle", sagt Michael Piringer. Der 73-Jährige gibt heute seine jahrzehntelange Erfahrung als Sicherheitsfachkraft an Kollegen weiter. Er ist der älteste Mitarbeiter bei IBG (Innovatives betriebliches Gesundheitsmanagement). Nach seinem Pensionsantritt mit 65 Jahren war es auch der Wunsch seiner Kunden, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten. "Ich habe aber auch das Glück, einen verständnisvollen und flexiblen Arbeitgeber zu haben", betont Piringer.

In vielen Unternehmen herrscht noch immer ein "Defizitbild" von älteren Arbeitnehmern, wie es der Arbeitsmediziner Rudolf Karazman ausdrückt. "Frühere Generationen waren mit 60 Jahren schon alt und krank. Es gab keine Personalentwicklung, sondern man spulte halt seine Jahre runter", gibt der Leiter des IBG zu bedenken. Die Entwicklungspsychologie zeichnet heute ein ganz anderes Bild: "Ältere Menschen bauen zwar körperlich ab, ihre kognitiven Fähigkeiten bleiben aber gleich und ihre geistig-sozialen Fähigkeiten nehmen sogar zu", so Karazman. Die Arbeitswelt müsse also den körperlichen Bedürfnissen älterer Mitarbeiter mehr entgegenkommen, gleichzeitig müssten die geistigen Aufgaben herausfordernd bleiben und die Leute sich sozial eingebunden fühlen.

Arbeit als Lebenselixier

Die gute Beziehung zu seinen Kollegen ist auch für Michael Piringer ein wichtiger Motivationsfaktor. Er ist zusätzlich zur Sicherheitsarbeit als leidenschaftlicher Grafiker tätig, "aber da sitzt man ja wieder in den eigenen vier Wänden." Nun hat der dreifache Großvater seine Arbeitstätigkeit auf 30 Stunden pro Monat reduziert. Ans Aufhören will er aber nicht denken. "Mit 73 fühle ich mich noch sehr wohl und will weiter aktiv bleiben, solange es die Gesundheit erlaubt. Wer rastet, der rostet", lacht er.

Tatsächlich trägt eine sinnstiftende Arbeit, die Regenerations-Möglichkeiten bietet, entscheidend zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden bei: "Wer mit vielen Interessen und Beziehungen in der Welt verankert ist, bleibt viel eher gesund", so Karazman. "Wenn diese Fäden abreißen, keine Herausforderungen mehr warten, beginnt ein Stagnationsprozess, ein Rückzug, und Krankheit droht." Auch ein kranker Mensch solle arbeiten: "Arbeitslosigkeit ist einer der größten Krankheitsverursacher. Man kann auch mit Behinderungen sinnvoll arbeiten und das bis 80", ist Karazman überzeugt. Entscheidend ist, wie man sich die Arbeit organisiert. Im höheren Alter sollte man Arbeitszeiten reduzieren, längere Erholungsphasen einplanen, keine Schicht- oder Nachtarbeit mehr machen.

Bisher besteht jedoch nur in wenigen Betrieben Bewusstsein für eine altersgerechte Arbeitsgestaltung. Mit diesem Ziel vor Augen hat die Gesundheits-und Spitals-AG (Gespag) in Oberösterreich eine "lebensphasenorientierte Arbeitsgestaltung" eingeführt. Gerade in der Ärzteschaft kommt es öfter vor, dass Mitarbeiter nach dem Erreichen des Pensionsalters gerne weiterarbeiten möchten. "Bei Personalmangel oder in Leitungs-Funktionen verlängern wir Verträge auch über das 65. Lebensjahr hinaus", erklärt Personaldirektor Martin Rupprecht. Derzeit nützen ältere Mitarbeiter vor allem die Möglichkeit der Altersteilzeit. Noch ist unklar, wie man ältere Mitarbeiter nach ihrer Pensionierung in den Betrieb einbinden könnte. Fest steht: "Ihre Ressourcen sind zu wertvoll, um sie brach liegen zu lassen", so Rupprecht.

Die heimische Politik packe das Problem falsch an, ist Karazman überzeugt: "Die Politik beginnt mit der Pensions- statt mit der Arbeitswelt-Frage. Man muss aber zuerst fördern, dann kann man fordern." Dass es anders geht, zeigt Schweden, wo im Schnitt erst mit 64,4 Jahren in Pension gegangen wird - in Österreich bereits mit 60,9.

Nicht nur in den freien und kreativen Berufen oder bei den Selbstständigen gilt der klassische Ruhestand mit rund 60 nicht mehr als das Maß aller Dinge. Einen regelrechten Pensionsschock erleiden rund ein Fünftel aller Menschen. Vor allem Männer drohen leicht zu vereinsamen. "Durch die Flucht in die Arbeit kann man vor sich selbst davon laufen. Nach der Pensionierung steht man plötzlich dem Nichts gegenüber, sofern man keine erfüllenden Beziehungen und Hobbies hat", so Karazman.

Pensionsschock mit 60

Dieser Pensionsschock traf auch die Marketing-Direktorin Edda Frank. Mit 60 Jahren wurde sie gegen ihren Willen pensioniert und fiel in ein tiefes Loch. "Ich hatte einen spannenden Job, war immer voll im Einsatz und plötzlich war alles vorbei", erinnert sich die heute 67-Jährige. Dabei fühlte sie sich noch fit und wollte noch gern einen Beitrag leisten. Bald nach ihrer Pensionierung hörte sie von "seniors 4 success", einer Plattform für ältere Menschen, die weiter aktiv sein wollen. Frank gründete dort einen Arbeitskreis zum Thema Älterwerden und Partnerschaft. "Plötzlich habe ich erkannt, dass es viele gibt, die eigentlich nicht in Pension gehen wollten und noch etwas Neues anpacken möchten."

Ältere Menschen brauchen keine Schonung, sondern komplexere Aufgabenstellungen, betont Karazman: "Die gesteigerte Kompetenz im Alter will verwirklicht werden." Eine Alters-Diskriminierung zeige sich dort, wo Arbeitnehmer ab 50 nicht mehr gefördert werden. Das wahre Problem liege nicht im Älterwerden der Belegschaften, sondern in der Orientierung der Firmen auf junge Mitarbeiter. "Dabei sind Menschen in der zweiten Hälfte des Arbeitslebens viel produktiver für das Unternehmen." Die österreichische Vorliebe für die Frühpension stamme aus den 1970er-Jahren, als die großen Betriebe durch Computerisierung eine Frühpensionierungs-Kultur etablierten. Das Ziel: Möglichst viele Lebensjahre nichts zu tun.

Gerade das will Edda Frank nicht. Sie brauchte nach ihrem Pensionsschock ein halbes Jahr, um sich neu zu orientieren - von da an ging es bergauf. Frank machte die Ausbildung zur Tanzpädagogin und hält nun Tanzkurse für Kinder. Zudem ließ sie sich zur Lima-Trainerin (Lebensqualität im Alter) ausbilden und macht nun Gedächtnis - und Bewegungstrainings mit Menschen ab 60. Ihr Glücksrezept? "Ich suche immer wieder die Herausforderung. Der Austausch mit meinen Kursteilnehmern und ihr positives Feedback sind für mich sehr befriedigend."

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