"Der politische Wille fehlt"
Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im Gespräch über Flucht, Neoliberalismus und das Recht auf legalen Zugang zum Asylverfahren. | Das Gespräch führte Clara Scarpatetti
Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak im Gespräch über Flucht, Neoliberalismus und das Recht auf legalen Zugang zum Asylverfahren. | Das Gespräch führte Clara Scarpatetti
Der Menschenrechtsexperte und ehemalige UN-Sonderberichterstatter über Folter Manfred Nowak erklärt, warum die weltweiten Fluchtbewegungen weiter zunehmen werden.
DIE FURCHE: Es gibt so viele Flüchtlinge wie nie zuvor. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Fluchtbewegungen ein?
Manfred Nowak: Wir befinden uns leider in einer großen globalen Krise, das ist nicht nur die Wirtschaftskrise, sondern auch der Klimawandel und eine zunehmende Bedrohung der Menschen durch bewaffnete Konflikte. Wenn die wichtigsten Staaten nicht endlich einsehen, dass wir eine andere Weltordnung - und das bedeutet vor allem Weltwirtschaftsordnung - brauchen, dann fürchte ich, dass diese Krisen zunehmen werden und damit auch die Fluchtbewegungen. In Syriens Nachbarstaaten leben Millionen Flüchtlinge, dort wird die Situation aber zunehmend schwieriger und daher werden sich auch von dort mehr Menschen in Richtung Europa aufmachen.
DIE FURCHE: Was ist Ihrer Meinung nach die Hauptursache für die ständig steigenden Flüchtlingszahlen?
Nowak: Ich meine, dass der Neoliberalismus ein gerüttelt Maß Schuld hat an vielen Krisensituationen, unter denen wir derzeit leiden. In den USA ist die Ungleichheit so hoch wie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg. Und diese Ungleichheit hatte damals auch wesentlichen Anteil am Ersten Weltkrieg.
DIE FURCHE: Hat Europa demnach auch gegenüber Klima- und Wirtschaftsflüchtlingen Verantwortung zu tragen?
Nowak: Wenn wir daran interessiert sind, die Welt für unsere Märkte zu öffnen, dann müssen wir uns auch dran gewöhnen, dass mehr und mehr Menschen zu uns kommen. Aber natürlich kann nicht jeder nach Europa. Daher brauchen wir ein faireres Wirtschaftssystem und müssen endlich die vereinbarten 0,7 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit aufbringen.
DIE FURCHE: Warum fällt es der Staatengemeinschaft so schwer, die Fluchtursachen unter Kontrolle zu bringen?
Nowak: Weil der politische Wille fehlt. Die großen Neugestaltungen der Weltordnung waren immer Reaktionen auf Krisen, so wie die Vereinten Nationen Reaktion auf zwei Weltkriege waren. Ich hoffe, dass wir nicht einen dritten Weltkrieg brauchen, um endlich zur Vernunft zu kommen.
DIE FURCHE: Was bereitet Ihnen in Bezug auf die europäische Asylpolitik aus menschenrechtlicher Sicht die meisten Bedenken?
Nowak: Das Recht auf Asyl bedeutet auch, dass Flüchtlinge ein Recht auf einen legalen Zugang zum Asylverfahren haben. Und dieses Recht haben wir den Menschen genommen. Menschen in Not bleibt dann nichts anderes übrig, als in die Fänge krimineller Schlepperbanden zu gelangen und unendlich viel Geld auszugeben, um nach Europa geschleppt zu werden. Dass das ein skrupelloses Geschäft ist, wissen wir, aber wir haben es selbst verursacht.
DIE FURCHE: Bringt es denn etwas, wenn die EU nun Schlepperboote zerstört?
Nowak: Zerstört man Schlepperboote, so gibt es halt neue. Wenn man den Schleppern wirklich das Handwerk legen will, dann muss man einen legalen Weg für Flüchtlinge in die EU schaffen. Aber natürlich muss man die Schlepper zusätzlich verfolgen, vor allem die Hintermänner. Oft sind die kriegsfördernden Parteien selber auch in die Schlepperkriminalität verwickelt und verdienen Geld daran, dass sie Leute vertreiben.
DIE FURCHE: Wie sollte ein legaler Zugang für Flüchtlinge in die EU aussehen?
Nowak: Man muss ihnen im Ausland die Möglichkeit geben, um Asyl anzusuchen, ähnlich dem früheren Botschaftsasyl, nur jetzt auf europäischer Ebene - denn wir werden diese Situation nur dann in den Griff bekommen , wenn die Staaten die Kompetenz für das Asylverfahren an die EU übertragen. Das heißt statt 28 völlig unterschiedlichen Asylverfahren vor völlig unterschiedlichen Asylbehörden mit völlig unterschiedlichen Chancen der Anerkennung brauchen wir eine gemeinsame europäische Asylbehörde. Eine zweite Möglichkeit wäre, im Wege des "Resettlement" bestimmte Kontingente von Flüchtlingen aus der Türkei oder dem Libanon zu übernehmen.
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