Der „große Bruder“ in Norwegen

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Die Koalition in Österreich hat sich auf eine Transparenzdatenbank geeinigt. Sie soll auflisten, wer von welcher öffentlichen Hand wie viel bekommt. In Norwegen ist man bezüglich dieses Datensammelns viel weiter. Ein Universitätsprofessor auf Transparenzfeldforschung im hohen Norden.

Georg Apenes ist der gottsöberste Datenschützer Norwegens. Sie kennen ihn nicht, dennoch wollen Sie wissen, was Georg verdient? Sie wollen auch wissen, was er an Vermögen besitzt? Nichts leichter als das: Gehen Sie jetzt gleich ins Internet auf http://skatt.f-b.no, geben sie in die Spalte „Etternavn“ (Familienname) Apenes und in die Spalte „Fornavn“ (Vorname) Georg ein. Dann drücken sie auf „Sök“ (Suche).

Dann wissen sie alles, was Sie wissen wollen – und noch weit mehr. Er hatte 2008 exakt 977.436 Norwegische Kronen (NoK) an Einkommen und bezahlte 420.279 NoK an Steuer, Vermögen hat er zum Zeitpunkt 2008 genau 113.868 NoK. Auch wie alt Georg ist (geb. 1940) plus seiner Personennummer fällt nebenher ab. Auch wo er wohnt und wie das Einkommensniveau in den umliegenden Straßen statistisch aussieht, erfahren Sie so nebenher. Was angeblich Kriminelle schätzen, weil rasch herauszufinden ist, wo sich ein richtig satter Einbruchszug lohnt.

Das war’s? Weit gefehlt. Sie erfahren auch noch, wie die Einkommensentwicklung der letzten Jahre verlaufen ist. Und dass Georg sein Haus am Vinjes Weg 7 in Frederikstad für 853.000 NoK an Helen Drablös verkauft und sich dafür ein Haus in Harald Haarfragres Gasse 11A von Grete Lisbeth Simensen um 950.000 Nok gekauft hat. Dass er die fehlenden 100.000 Kronen aus seinem Vermögen entnommen hat, können Sie an der Vermögenskurvenentwicklung nachverfolgen. Georg kann seinerseits nachschauen, wie oft er nachgesucht wurde. Da ich mehrmals bei ihm „eingestiegen“ bin, weil ich das alles nicht fassen konnte, hat sich seine Besucherzahl dramatisch erhöht. Wenn Sie jetzt alle auch noch bei ihm reinschauen, dann wird er sich echt wundern; ich rufe ihn aber gleich an und erkläre ihm seine „Saison“.

Schnüffeln in der Privatsphäre …

Das ist norwegisches Transparenzdenken, tief verankert im Personenauskunftsgesetz (Personopplysningsloven). Dahinter steckt eine uralte, eigentlich gesamtnordische Gesellschaftsphilosophie, die übrigens bei uns auch mal gegolten hat. Die Theorie dahinter: Ein ehrlicher Bürger braucht sich nicht verstecken. Eigentlich nicht so falsch. Früher im Dorf war dann schnell klar, ob jemand mogelt oder ein ehrliches Gemeindemitglied ist. Denn man kannte ja im Dorf dessen oder deren Lebensführungsstil und ob der zusammenpasst mit dem Beitrag zu den allgemeinen Lasten. Mercedes fahren und Sozialbeihilfe beziehen sozusagen, wäre nicht unentdeckt geblieben.

Mittlerweile ist aber der gläserne Zahlemann norwegenweite Wirklichkeit. Und der Gesetzgeber wird bombardiert, dieses Schnüffeln in die Privatsphäre abzustellen. In der Tat, was ist der Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Recht auf Achtung des Privatlebens, denn eigentlich wert, wenn jeder in der Welt, nachsehen kann, was Georg Apenes verdient, an Vermögen hat und an Steuern zahlt. Wie ist das mit dem Recht auf Privatheit vereinbar? Aber gehört der Beitrag zu den öffentlichen Leistungen oder das Beziehen solcher zum „Privatleben“? Dazu wird sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte noch äußern müssen.

… versus das Recht auf Privatheit

Was das mit dem Transferkonto in Österreich, pardon, jetzt heißt das Transparenzdatenbank, zu tun hat? Scheinbar nicht viel. Doch es könnte schon so sein, dass es die Allgemeinheit, näherhin Sie als Steuerzahler, etwas angeht, ob Sie für jemanden blechen, dem es mit Ihrer Hilfe möglicherweise gleich gut geht wie Ihnen selbst, die oder der Sie hart hackeln. Kann man da wirklich Art. 8 EMRK als Schutzschild gegen Sie erheben?

Beruhigung ist angesagt. Die Transparenzdatenbank dient lediglich behördenintern der Feststellung, wer von welchen Töpfen wieviel an Sozialgeld bezieht. Von Versicherungsleistungen wie dem Arbeitslosengeld ist gar nicht die Rede. Wenn aber, wie eben in Deutschland rund um Hartz IV, zum Sockelbetrag noch Mietzinsbeihilfe, Heizgeld, Gasgeld, Stromgeld, Waschmaschinenreparaturkostenersatz … kommt, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass brav schuftende Kleinverdiener einem gevieften „Hartzer“ einen gleich guten oder besseren Unterhalt verschaffen, als sie ihn selber haben. Was schräg wäre.

Also soll in Österreich wenigstens erst mal behördeninterne Transparenz hergestellt werden, was ein Beteilter in Summe bekommt – von Sozialleistungen bis Förderungen. Das hat auch mit dem österreichischen Föderalismus zu tun. Es gewähren nämlich neben dem Bund auch Länder und Gemeinden Transferleistungen, also steuerfreie Nettozahlungen. Und eine Hand weiß aus verfassungsrechtlich geschützten Gründen nicht, was die andere tut. Was nicht hinnehmbar ist, weil die Geldvermehrung ja nicht vom Himmel fällt, sondern von einer progressionsgebeutelten Steuerzahlerschaft erarbeitet wird.

Was ist also gerecht? An dieser fundamentalen Frage beginnt es sich verteilungsgerechtigkeitspolitisch zu spießen. Ein allgemeines Grundeinkommen ist ein Reizwort seit Jahrzehnten. Kommt aber nun doch, endlich. Mal sehen wie. Vermutlich werden wir dennoch weiterwurschteln müssen mit dem Zusammentragen von Geld von hier und von da und von dort. Aber: Wir beginnen eben doch, wissen zu wollen, wer was von wem bezieht. Zumindest behördenintern.

Bloß, was soll da wie weit zulässig sein? Darüber entzweite sich die österreichische Politik bis vor Kurzem. Wir dürfen gespannt sein, wie das „harmonisierte“ Ergebnis aussieht. Und wie dieses sich im europäischen Vergleich anfühlt.

Zum Vergleich noch einmal zum „großen Bruder“ in Norwegen. Dort würden nicht nur die Behörden (die tun es dort nebenher gewiss sowieso schon und würden unsere Debatte als urkomisch empfinden), sondern auch die Öffentlichkeit wissen, was jemand an Transferleistungen bezieht. Denn wenn jemand nicht im Erwerbsleben steht und kein Vermögen hat, aber dennoch X an Steuer zahlt, dann wäre wohl klar, dass sie oder er das aus Transferleistungen aus öffentlichen Händen haben. Er oder sie müsste nach norwegischer Lesart alles zusammen ja als „Einkommen“ versteuern.

Aufwändiges Geldringelspiel?

Das hieße auf Österreich umgelegt, dass die Transferleistungen und Förderungen nicht netto, sondern brutto ausgezahlt werden müssten. Also plus einem Zuschlag, der dann als Steuer abgeführt wird. Sieht man vom Verwaltungsaufwand ab, wäre das eine erwägenswerte Richtung. Nur käme es dann in Österreich hinsichtlich des zu Versteuernden zu einer Umverteilung von Sozialleistungen an den Bund. Soweit die Mittel nicht ohnedies aus Bundesmitteln stammen und damit ein Nullsummenspiel herauskäme, würden Länder und Gemeinden den Bundeshaushalt speisen.

Also nur Verwaltungsaufwand und Geldringelspiel? Nicht nur. Es hätte auch gesellschaftshygienische Begleitaspekte, wenn auf einem Kontoblatt transparent würde, was effektiv die steuerzahlende Allgemeinheit an eine Person leistet. Darum geht es doch in der Debatte zuvorderst, oder?

Sofort kam bislang der Einwand, man wolle nur eine Neiddebatte lostreten. Man wolle den Beziehern doch bloß ein schlechtes Gewissen geben und die Leute in die verschämte Nichtinanspruchnahme treiben. Also, wenn das beabsichtigt wäre, dann würde eine nur behördenintern einsehbare Transparenzdatenbank nur leere Kilometer produzieren. Das würde nämlich kaum gelingen, das Inanspruchnahmeverhalten solcherart zu steuern. Warum nicht? Ein Erfahrungsbeispiel: Die Krankenkassen übermitteln uns seit Jahren einen Kontoauszug darüber, was wir an Kassenmitteln verbraucht haben. Es hat sich dadurch die Inanspruchnahme um kein einziges Aspirinpackerl vermindert.

Transferkonto, was nun? Im Lichte der bislang nicht als menschenrechtswidrig judizierten Transparenzsucht des „großen Bruders“ in Norwegen ein Lercherl. Anbetrachts der Realität des Nichtwissens um öffentliche Ausgaben scheinbar geradezu ein Muss. In Hinblick auf Art. 8 EMRK aber ein nicht unbedenklicher Schritt, wenn man davon ausgeht, dass angesichts des Risikos, dass bei einer fast unüberschaubaren Reihe von zu vernetzenden Ämtern und Behörden die Dinge alsbald wenig geheim bleiben würden.

Georg Apenes wäre aber schon ganz glücklich über so eine vergleichsweise kleine Lösung.

* Der Autor hält u.a. die Lehrkanzel für Europäische Rechtsentwicklungen an der Uni Graz

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