Der einzelne finanziert das Sozialsystem
Der Staat muß auch auf die Leistungsträger Rücksicht nehmen, damit die Bereitschaft zur Solidargesellschaft nicht abnimmt.
Der Staat muß auch auf die Leistungsträger Rücksicht nehmen, damit die Bereitschaft zur Solidargesellschaft nicht abnimmt.
Moderne Sozialpolitik bewegt sich im Spannungsbogen zwischen (1) der notwendigen Existenzsicherung für alle, die am Erwerbsleben aus welchen Gründen auch immer nicht teilhaben, (2) der Sicherung des Sozialversicherungssystems der Erwerbstätigen und (3) der Finanzierung des Sozialstaats durch die Leistung der Volkswirtschaft.
Christdemokratische Sozialpolitik wird von der Mitmenschlichkeit und dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit ausgehen. Fairneß ist dabei der Schlüsselbegriff: Fairneß gegenüber den Beitrags- und Steuerzahlern, weil sie von ihrem Arbeits- oder Vermögenseinkommen nicht unbeschränkt Abgaben aufbringen können und wollen. Die Steuern- und Abgabenquote ist in Österreich mit rund 44 Prozent am Plafond. Alle Sozialleistungen werden aus Geldern finanziert, die sehr konkrete Einzelpersonen durch Leistung, Können, Klugheit und Geschicklichkeit verdient haben.
Hinter Sozialleistungen stehen politische Entscheidungen, die zum Ziel haben, soziale Gerechtigkeit gegenüber denen herzustellen, die Hilfe brauchen, beziehungsweise Einkommen für alle Erwerbstätige zu sichern, wenn diese wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter nicht mehr im Erwerbsleben stehen können. Das Bruttoeinkommen eines einzelnen wird sich dabei immer am wirtschaftlichen Wert und an den Bedingungen des - neuerdings stark globalisierten - Markts orientieren. Die Entscheidung, wieviel von diesem Bruttoeinkommen in die Finanzierung der (kollektiven) Solidarkassen fließt, und wieviel zur individuellen Verfügung netto übrigbleibt, sind Entscheidungen von größter gesellschaftspolitischer Bedeutung. Das Verhältnis zwischen unserem tatsächlichen "Individualeinkommen" und den Abgaben für die "kollektive soziale Sicherung" bestimmen wir politisch!
Optimierung und Mißbrauchsverhinderung im Sozialsystem sind gegenüber denjenigen, die das System finanzieren, dringend notwendig: Um Solidarität muß der Sozialstaat immer wieder aufs neue werben. Tut er es nicht, werden die Leistungsträger die Bereitschaft zur Mittelaufbringung verlieren, und Wege für ihre eigenen - individuellen - Sicherungssysteme finden. Das wäre eine Gefahr für die Solidargesellschaft. Solange an den verschiedenen Schrauben der optimalen Verteilung des aufwendigen Solidarsystems mit der erklärten Absicht der Solidarität gedreht wird, soll daher nicht voreilig von "Entsolidarisierung" gesprochen werden.
Moderne Sozialpolitik wird sich besonders um die annehmen, die am unteren Ende der Sozialskala aus der sicheren Mitte des sozialen und ökonomischen Lebens hinauskippen: Es geht um die, die wegen individueller Biographiebrüche (Scheidung, außereheliche Kinder, Alkohol, Drogen, Überschuldung, Unfall ...) oder aus phsycho-sozialen Gründen nicht arbeiten (können) und damit verarmen. Daraus ergibt sich ein gesellschaftspolitisches Projekt der sozialen Existenzsicherung. Wobei der Staat bereits jetzt Finanzmittel aufwendet, die eine soziale Existenzsicherung gewährleisten könnten. Der Zugang zu diesem Mittel ist aber kompliziert, unübersichtlich und nicht selten schikanös. Daher: Die Regierung wird im Sinne des "One-Desk-Prinzips" Sozialbüros vor Ort einrichten, die den Klienten eine einfache, unkomplizierte und möglichst miß-brauchssichere soziale Existenzsicherung ermöglichen.
Weiters wird die Regierung den aus psycho-sozialen Gründen in der Langzeitarbeitslosigkeit steckenden Menschen helfen, in konkreten gemeinnützigen Arbeitsprojekten ihre vorhandenen Fähigkeiten zu aktivieren. Damit ergibt sich dann eine Möglichkeit, sich wieder in einen regulären Arbeitsmarkt zu integrieren.
Eine Politik der Mitte will mit solchen Projekten soziale Gerechtigkeit erzeugen, an denen sich alle beteiligen sollen, denen Mitmenschlichkeit, Sensibilität des Zusammenlebens und Fairneß ein Anliegen sind.
Der Autor ist Leiter der Politischen Abteilung der Österreichischen Volkspartei.
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