Werbung
Werbung
Werbung

Frau N. hat die Theaterbesuche vermisst. Schon als Kind, erzählt sie, sei sie regelmäßig im Theater gewesen, auch die Oper liebt sie sehr. In den vergangenen Jahren mussten allerdings Theater-und Opernabende ausfallen. Die gebürtige Tschechin wohnt mit ihrer nun elfjährigen Tochter in einem Mutter-Kind-Haus in Wien und lebt von Sozialhilfe. "Kultur fehlt mir sehr", sagt die Bautechnikerin. "Aber ich kann mir die Eintrittskarten nicht leisten."

Kultur auch ohne Geld

Eine Klage, die Martin Schenk von der Armutskonferenz öfter hört: "Armut heißt ja nicht nur, kein Geld für Kleidung und Wohnen zu haben", erklärt er. "Es geht dabei genauso um fehlende Teilhabechancen und Freizeitmöglichkeiten." Um für finanziell benachteiligte Menschen in Wien die Möglichkeit zu schaffen, am kulturellen Leben in der Stadt teilzunehmen, hat die Armutskonferenz gemeinsam mit dem Wiener Schauspielhaus im November 2003 die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" ins Leben gerufen: Sozialorganisationen verteilen den so genannten Kulturpass an Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Mindestpensionisten und Flüchtlinge. Bei den beteiligten Kulturinstitutionen bekommen die Passinhaber gratis Eintrittskarten, die über Spenden von Privaten und Unternehmen finanziert werden.

Mittlerweile beteiligen sich 24 Kulturinstitutionen daran, darunter Volksoper, Volkstheater, Sammlung Essl, Kunsthalle Wien, Jeunesse, der Jazzclub Porgy & Bess, Secession, Klangforum, Wiener Kindertheater und das Museum für angewandte Kunst. Wichtig ist es den Initiatoren, dass es sich bei den abgegebenen Karten gerade nicht um Restkarten handelt. Martin Schenk von der Armutskonferenz erklärt: "Diejenigen, die finanziell schlecht gestellt sind, sind ohnehin schon überall schlechter gestellt." Daher sollen sie bei dieser Aktion nicht in Form von Almosen das bekommen, was andere übrig lassen. Airan Berg vom Schauspielhaus formuliert es so: "Der Kulturpass ist bei den beteiligten Institutionen so gut wie eine Mastercard."

Eine der 8.000 Begünstigten ist Frau N. Seit sie den Kulturpass bekommen hat, geht sie wieder ins Theater. Auch in der Volksoper war sie schon. Und ihre Tochter kann endlich ab und zu ins Kino gehen. "Früher haben wir es manchmal so gemacht, dass ich meine Tochter ins Kino begleitet, aber nur eine Karte gekauft habe. Zwei wären zu teuer gewesen." Dann habe sie vor dem Saal gewartet, bis der Film aus war. Jetzt geht sie gemeinsam mit ihrer Tochter ins Cinemagic-Kinderkino.

Auffällig an der Aktion ist jedoch, dass die großen Institutionen wie Burgtheater oder Staatsoper sich nicht daran beteiligen. "Wir haben es uns überlegt", erklärt der kaufmännische Direktor der Staatsoper, Thomas Platzer, auf Anfrage der Furche. "Aber ich denke, es ist nicht nötig." Es gebe schließlich, zusätzlich zu vergünstigten Restkarten für Arbeitslose und Studenten und zu den regulären Karten ab sieben Euro, ja auch 567 Stehplätze zwischen zwei und 3,50 Euro. Ähnlich ist die Preisgestaltung im Burgtheater, wo die Stehplätze 1,50 Euro, die günstigsten Sitzplätze vier Euro kosten.

"Wer will, leistet es sich"

Anders dagegen etwa bei der Albertina oder im Kunsthistorischen Museum (khm), die sich beide ebenfalls nicht beteiligen. Während das khm für eine Stellungnahme bis Redaktionsschluss gar nicht erst erreichbar war, hieß es seitens der Albertina, es gebe beispielsweise für Arbeitslose ohnehin einen vergünstigten Eintritt - sie bezahlen 6,50 statt neun Euro. "Wer sich eine Ausstellung wirklich ansehen will, wird sich das vermutlich leisten."

Kunsthunger in Salzburg

Auch in Salzburg wird gerade ein Kulturpass-Netzwerk aufgebaut. Zahlreiche Sozialeinrichtungen machen ebenso mit wie viele Veranstalter der freien Kulturszene. "Es war überhaupt nicht schwierig, in der freien Kulturszene Kooperationspartner zu finden", erzählt der Initiator der Aktion in Salzburg, Alois Autischer, Geschäftführer der Sozialeinrichtung Laube. "Der Kulturpass bringt ja allen etwas: Die Inhaber bekommen die Möglichkeit, Kultur zu erleben. Und die Auslastung der Veranstalter steigt, ohne dass für sie Kosten entstehen." Der freien Kulturszene war das offenbar schnell klar. Anders dagegen den Landestheatern, Festspielen und großen Museen - auch sie glänzen derzeit, ähnlich wie viele in Wien, durch Abwesenheit in der Liste der Beteiligten. "Da sind die Entscheidungswege wohl deutlich komplexer", vermutet Autischer. Aber er ist zuversichtlich, dass auch sie sich früher oder später beteiligen werden. "Sie haben ja die moralische Pflicht dazu", sagt er. "Wie würde denn das ausschauen, wenn die Kultureinrichtungen mitmachen, die um jeden Euro kämpfen müssen, und die nicht dabei sind, die massiv von der öffentlichen Hand gefördert werden?"

Eines will Autischer allerdings nicht: dass das Netzwerk selbst von der öffentlichen Hand gefördert wird. "Wir wollen von der Politik unabhängig bleiben", betont er, und will das auch als eine Art Protest sehen, steht doch im Salzburger Sozialhilfegesetz (wie übrigens auch in jedem anderen außer in Vorarlberg), dass durch die Sozialhilfe eine angemessene Teilhabe am kulturellen Leben möglich sein müsse. "Das ist doch der reine Hohn, bei etwa 500 Euro Sozialhilfe im Monat", ärgert er sich.

Politisches Nachdenken

Dass dagegen in Wien die Politik selbst über eine Förderung der Aktion nachdenkt, wie Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny in den vergangenen Tagen in einem Presse-Interview verlauten ließ, wundert Kulturpass-Initiator Martin Schenk. "Plötzlich ist die Rede von einer Kooperation, aber mit uns hat bisher niemand geredet." Aus dem Büro des Kulturstadtrates heißt es dazu: "Der Stadtrat hat bisher nur gesagt, dass der Kulturpass eine interessante Aktion sei, an der man sich beteiligen könnte. Mehr steht noch nicht fest." Also weder, in welcher Form diese Beteiligung stattfinden werde noch in welcher Höhe Zuschüsse möglich seien. Für ganz unbeteiligt hält sich die Stadt Wien aber schon jetzt nicht: "Es sind ja unsere Institutionen, die da mitmachen. Die Alte Schmiede etwa oder das Schauspielhaus bekommen Subventionen der Stadt."

Kein Almosen - Grundrecht!

Martin Schenk kann sich eine Kooperation zwar vorstellen und wünscht sich etwa ein Büro für die Administration, weil "der Aufwand immer größer wird und bald nicht mehr, wie bisher, nebenbei zu bewältigen ist". Eines jedoch werde sich auch mit Förderungen durch die Politik nicht ändern: "Es bleibt Hilfe unter Protest." Denn besser als Gratiskarten wäre die Anhebung der Sozialhilfe auf ein Niveau, das die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt und eben die Teilnahme am kulturellen Leben leistbar macht. Die eigentliche Forderung ist also: "Die Sozialhilfe muss erhöht werden und wegkommen vom Almosen, hin zu einem Grundrecht."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung