6737953-1966_29_07.jpg
Digital In Arbeit

Staatsstreich nach neun Tagen

Werbung
Werbung
Werbung

Der nunmehr in einer Bagdader Haftzelle auf seinen Hochverratsprozeß wartende ehemalige Offizier befehligte bis Herbst 1965 die irakische Luftwaffe. Er war einer der Wortführer einer harten Kurdenpolitik und der Hauptverantwortliche für die alle Kriegsregeln verletzenden Flugzeugangriffe auf die kurdische Zivilbevölkerung. Um die nasseristi- sdien Parteigänger in Armee und Verwaltung zu beschwichtigen, ernannte Präsident Aref ihn Anfang September 1965 zum Ministerpräsidenten. Nur neun Tage darauf, während sich das Staatsoberhaupt anläßlich einer arabischen Gipfelkonferenz in Casablanca aufhielt, benutzte Razzak die frisch gewonnene Machtstellung zu einem Staatsstreich. Aber die nasseristischen Sympathien erwiesen sich in Bevölkerung und Verwaltung als nicht stark genug. Die Armee blieb, unter dem Kommando des Präsidentenbruders und späteren Nachfolgers Abdel Rahman Aref, Herr der Lage. Damals entkam Razzak nach Kairo, wo er — versehen mit ägyptischem Ehrensold — seitdem lebte. Unter den Fittichen Kairoer Spionagedienste planten er und einige irakische Gesinnungsgenossen (darunter der frühere Außen- und Innenminister, Subhi Abdel Hamid, und der ehemalige Informationsminister, Farhan) ihren zweiten Umsturzversuch. Zu welchem Zeitpunkt und auf welchem Weg Razzak nach Mossul zurückkehrte, wo er zeitweilig den Flughafen besetzen ließ und wo er, nach dem raschen Zusammenbruch seines Aufstandversuches, verhaftet wurde, ist noch ungeklärt. Sicher ist nur, daß er das Gastland nicht ohne amtliche Erlaubnis verlassen konnte. Kenner der Verhältnisse halten es daher für möglich, daß er von einer illegal eingeflogenen ägyptischen Militärmaschine abgesetzt wurde.

Im Hintergrund: Friede mit den Kurden

Weder der Zeitpunkt des Put- sches, noch der Umstand, daß er von der Luftwaffe ausging, sind Zufälle. Am Vorabend hatte die Regierung eine 12-Punkte-Übereinkunft mit den kurdischen Aufständischen bekanntgegeben. Hiernach erkennt der arabische den kurdischen Bevölkerungsteil förmlich als gleichberechtigt an. Die Gesetzgebung soll entsprechend geändert werden. In den Nordprovinzen soll Kurdisch erste Amtssprache und Kurden sollen Beamte werden. Kurdische Zeitungen sollen wieder erscheinen. An der Universität Bagdad sollen kurdische Studien staatlich gefördert werden. Kurdische Vertreter sollen, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil, in Verwaltung und Armee eingegliedert werden. Ein besonderes Ministerium soll den Wiederaufbau der kriegszerstörten Gebiete planen und überwachen. Alle kurdischen Beamten, Angestellten und Arbeiter sollen auf ihre früheren Posten zurückkehren. Kurdische Armee- und Polizeiangehörige sollen wieder eingegliedert werden. Eine Generalamnestie soll erlassen werden.

Dieses in längeren Verhandlungen ausgearbeitete Programm soll nach einem Waffenstillstand, der praktisch schon wirksam ist, erfüllt werden. Allerdings haben ihm bisher weder die kurdischen Autoritäten zugestimmt, noch gab die Regierung ausreichende Erfüllungsgarantien. Wichtige kurdische Minimalforde- rungen blieben unerfüllt. Die zwölf Punkte sprechen lediglich von der Eingliederung der Kurden in den (arabischen) Staat, nicht aber von kurdischer Autonomie. Es ist weder von einem kurdischen Anteil an Volkseinkommen und Erdöleinkünften, noch von separaten kurdischen Armeeinheiten die Rede. Ministerpräsident Bazzaz, der Haupteinpeitscher des Waffenstillstandes, besitzt zWar das Vertrauen der Armee, ging, aber nicht aus Ihr hmvQE ilBr hTi’ also kaum garantkö ; aBfeS die ge gebenen Versprechungen eingehalten werden. Die Armee könnte ihn jederzeit desavouieren.

Die Übereinkunft ist, falls sie überhaupt in Kraft tritt, keineswegs der Ausdruck politischer Überzeugung beider Seiten. Sie ist vielmehr ein Ergebnis der Kampfmüdigkeit. Die Kurden beginnen einzusehen, daß sie ihr Maximalziel, einen eigenen Staat, kaum erreichen können. Die Araber haben — nach einer letzten gescheiterten Offensive in diesem Frühjahr — erkannt, daß sie den kurdischen Selbstbehauptungs- widlen nicht gewaltsam zu brechen vermögen. Es ist nicht sicher, ob der fast fünfzigjährige kurdische Freiheitskampf jetzt durch einen undurchsichtigen Kompromiß beendet wird. Die 12-Punkte-Übereinkunft bestärkt aber wieder einmal die Hoffnungen auf ein friedlicheres Zusammenleben beider irakischer Volksgruppen.

„Politische Naturtalente“

Erfüllt sich diese Hoffnung, ist es eine schmerzliche Niederlage für die arabisch-irakische Armee, insbesondere für die Luftwaffe. Letztere trug die Hauptlast des Bürgerkrieges. Doch ihre pausenlosen Luftangriffe zermürbten nicht die kurdische Widerstandskraft. Ihre Mißerfolge und die dadurch hervorgemfene Unzufriedenheit provozierten mehrere Säuberungen, die sie weiter schwächten. Araber vergessen aber nichts schwerer als eine Niederlage. Dies war das ganze Geheimnis de geschilderten Putschversuches. Luftwaffenoffiziere, die den Kurdenkrieg nicht gewinnen konnten, ihn aber auch nicht verloren geben wollen, und die Anhänger Abdel Nassers, für den jede Preisgabe „arabischen Bodens“ an Nichtaraber gleichbedeutend ist mit Hochverrat, verbanden sich in ihm zu einem Verzweiflungsangriff auf die Bagdader Regierung. Doch antikurdische Affekte und pro- nasseristische Sympathien waren zu schwach, um die „Dynastie Aref“ zu stürzen.

Die Brüder Aref erwiesen sich in den letzten vier Jahren als politische Naturtalente. Der ältere wurde, was heute feststeht, umgebracht; und niemand würde sich wundern, wenn diafür nasseristische Söldlinge verantwortlich wären. Die Bagdader Behörden ziehen es jedoch vor, darüber einstweilen zu schweigen. Der jüngere vollendet unterdessen das Werk seines Bruders: Er wirft einen antinasseristisch-antikommunistischen Schützengraben im Nahen Osten auf: Nur zwei Tage nach dem gescheiterten Staatsstreich reiste sein Ministerpräsident Bazzaz in die Türkei. Vorher erklärte dieser, sein Land wolle sich, ohne Militärpakten beizutreten, künftig stärker an die Türkei und den Iran anlehnen.

Der Irak ist nach Saudi-Arabien , er zweite arabische Staat, der : eine über die arabischen Grenzen hinausweisende nahöstliche Macht- ,

konsteliation — zusammen mit der Türkei und dem Iran und in stillem Einverständnis mit Jordanien und dem Libanon — zustandezubringen versucht. Sie ist nicht unbedingt prowestlich, aber sie richtet sich eindeutig gegen Kairo und Moskau. Daß dies ohne westliche Unterstützung, ja ohne westliche Sympathie, möglich ist, beweist — nach Ansicht irakischer und libanesischer Intellektueller —, daß in der arabischen Welt die Abwehrkräfte gegen ägyptische Machtansprüche und sowjetischen Neoimperialismus erwacht sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung