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Olympische Spiele: Moneten statt Moral?

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Die heile Olympiawelt gab es nie. Auch die Sommerspiele in Atlanta (19. Juli bis 4. August) liegen im Spannungsfeld von Geld und Politik.

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Die heile Olympiawelt gab es nie. Auch die Sommerspiele in Atlanta (19. Juli bis 4. August) liegen im Spannungsfeld von Geld und Politik.

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Der Sirup, den der Chemiker John Pemberton 1886 in Atlanta gegen Kopfschmerzen kreiert und den einer seiner Freunde mit Wasser und Kohlensäure gemischt hat, ist in den 110 Jahren seither zum beliebtesten Erfrischungsgetränk der Welt geworden: Coca-Cola.

Wäre es nicht so, und wäre Atlanta nicht - dank Coca-Cola - eine so reiche Stadt, dann fänden die Olympischen Sommerspiele heuer vermutlich doch wieder dort statt, wo alles vor 100 Jahren begonnen hat: in Athen.

Dort waren am 5. April 1896 auf Initiative des französischen Barons Pierre de Coubertin die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet worden, anknüpfend an jene legendenumwobenen Wettkämpfe im heiligen Hain von Olympia, die seit 776 vor Christus nachweisbar waren und 393 nach Christus von Kaiser Theodosius als heidnischer Brauch verboten wurden.

Aber Griechenland fand bei der Vergabe der „Jahrhundertspiele” am 18. September 1990 im dafür maßgeblichen Internationalen Olympischen Comite (IOC) keine Mehrheit. An diesem Gremium läßt der britische Journalist Andrew Jennings in seinem gerade erschienenen Buch „Das Olympia-Kartell” (Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1996,344 Seiten, DM 16,90) kein gutes Haar, er spricht von einer „im verborgenen operierenden Clique vorwiegend alter Männer, die dank der olympischen Gewinne ein Leben in Saus und Braus führen” (während beispielsweise die im gleichen Jahr durchgeführten „Paralympics” für behinderte Sportler mit einem Butterbrot abgespeist werden). Besonders kritisiert Jennings den spanischen IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch als einen „alten Karrierefaschisten, der keine Reue kennt”, und wirft ihm Ambitionen auf den Friedensnobelpreis vor.

Ins IOC wird man nicht gewählt, sondern wie ins Kardinalskollegium berufen, im letzteren Fall nur vom Papst, im Fall IOC mit mehrheitlicher Zustimmung zu einem Vorschlag des Präsidenten. Elf der derzeit 106 Mitglieder (99 Männer, sieben Frauen, darunter zwei Prinzessinnen) sind noch auf Lebenszeit berufen, die anderen müssen mit 80 Jahren ausscheiden. Aristokraten, Geschäftsleute, Freiberufler, Offiziere, Diplomaten, Politiker, Sportfunktionäre, \iele davon schon im Ruhestand, beherrschen die Szene, nicht selten Leute, die in Diktaturen oder feudalistischen Strukturen Karriere gemacht haben. Und laut Jennings sind etliche dabei, die sich auf IOC-Kosten jeden Luxus gönnen und daraus kräftig Kapital schlagen, daß sie mit ihrer Stimme an der Auswahl der Olympiastädte beteiligt sind.

Wie in der Antike finden Olympische Spiele im Abstand von vier Jahren (diesen Zeitraum nennt man „Olympiade”) statt, die 1924 eingeführten Winterspiele hat man ab 1994 in andere Jahre als die Sommerspiele verlegt. Es macht den besonderen Reiz Olympischer Spiele aus, daß sie zum Unterschied von Weltmeisterschaften Bewerbe in vielen verschiedenen Sportarten umfassen und eben nur alle vier Jahre stattfinden.

Fest eingeführte Riten verleihen dem Ereignis eine Art religiöse Dimension. Dazu gehören zum Beispiel die Eröffnung mit Einzug der Athleten ins Stadion, Entzünden des aus Olympia mittels einer Staffel gebrachten Olvmpischen Feuers, Sprechen des Olvmpischen Eides oder die Siegerehrungen mit Medaillen aus Gold, Silber und Bronze für die drei Erstplazierten, Aufziehen der Fahnen und Spielen der Siegerhymne, Elemente, die nicht nur verständlichen Patriotismus, sondern auch häßlichen Nationalismus fördern können.

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