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Bundesprasident im Nebel

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Österreich hat eine neue Sorge. Diese Sorge gilt seinem Bundespräsidenten. Nicht dem heute amtierenden Staatsoberhaupt. Dr. Schärf ist relativ gesund, und seine Amtsführung gibt auch bei jenen, die ihm seinerzeit nicht ihre Stimme gegeben haben, zu keinen Klagen Anlaß. Aber die sechs Jahre seiner Amtszeit neigen sich ihrem Ende zu. In wenigen Monaten, spätestens im Mai des kommenden Jahres, muß das Bundesvolk wieder darüber befinden, wen es ,,an der Spitze des Regiments“ sehen will. Die Schatten der kommenden Präsidentenwahl fallen auch auf die sehr zähflüssigen Regierungsverhandlungen. Weder ihr Ende noch ihr Ausgang sind zur Stunde abzusehen. Eines steht jedoch fest: Je weiter wir uns vom November entfernen, je mehr die Verhandlungen in das neue Jahr hinüberkommen, um so lastender wird der Schatten der kommenden Präsidentenwahl auf die Verhandlungen drücken.

Das kann niemandem recht sein. Auch nicht den Sozialisten. Zwar ist bei ihnen die Versuchung gewiß groß, die kommende Präsidentenwahl als die Chance einer Revanche für die Schlappe des 18. November aufzufassen. Nach einer gewonnenen Bundespräsidentenwahl stünde es dann — zumindest psychologisch — wieder 1:1, und der Vorsprung der Volkspartei vom Herbst 1962 wäre im Frühjahr 1963 gleichsam „wegoperiert“

Wenn Dr. Schärf je Zweifel gehegt hat. ob er sich einer zweiten Kandidatur stellen soll, so wird die Partei, aus der er hervorgegangen ist und der er sich nach wie vor verpflichtet fühlt, in diesen Wochen gewiß alles tun, um auch die letzten Gedanken in dieser Richtung zu zerstreuen.

Ein amtierender Bundespräsident als Kandidat für das höchste Amt im Staat ist gewiß Favorit, doppelter Favorit, wenn er noch dazu auf die ,.Ahnengalerie“ von zwei sozialistischen Vorgängern hinweisen kann und selbst aus einer Volkswahl bereits hervorgegangen ist. Im sozialistischen Lager rechnet man auch, daß nun, nachdem der Bundeskanzler und Nationalratspräsident wieder fest in den Händen der Volkspartei sind, die von der ÖVP im November geschickt aus-gesoielte Neigung des österreichischen Wählers, eine Partei nicht übermächtig werden zu lassen, dem sozialistischen Präsidentschaftskandidaten erneut zugute kommen müßte. Diese Rechnungen haben bestimmt viel för sich. Sie haben aber auch Schönheitsfehler. Zunächst den einen, daß si die Person des Bundespräsidenten, mehr als für das hohe Amt zuträglich, in das parteipolitische Kräftespiel hineinziehen. Auch gibt es einige unbekannte Faktoren. Einer davon ist di Frage, ob das nächste Mal die kommunistischen Wähler wieder geschlossen für den Kandidaten der SPÖ stimmen werden. An Anspielungen, ja an „Drohungen“ hat es von dieser Seite an die Adresse der SPÖ nach den Nationalratswahlen nicht gefehlt. Der 18. November muß der Sozialistischen Partei ferner gezeigt haben, daß es in der Politik zwar „Wahrscheinlichkeitsrechnungen“, aber keine Ver-sicherungspolizzen gibt. Wer allzu selbstsicher ein Ziel ansteuert, landet leicht daneben. Was wäre, wenn ...

Eine verlorene Präsidentenwahl müßte den Mißerfolg des 18. November in ein echtes Debakel der SPÖ verwandeln. Sie stünde mit dem Rücken zur Wand. Eine, um mit dem Volksmund zu sprechen, „gemähte Wiese“ ist die Präsidentenwahl also für die Sozialistische Partei keineswegs; wer außerdem bei ihren Schatzmeistern anfragt, sieht sorgenvolle Gesichter. Der nied-* rige Pegelstand in der Parteikasse ermuntert gewiß nicht dazu, frisch-fröhlich eine neue Materialschlacht um die Person de Bundespräsidenten zu schlagen.

Wenn es zur Stunde eine Solidarität zwischen den beiden großen Parteien gibt, dann ist es jene zwischen ihren Finanzreferenten; denn auch die Volkspartei hat gewiß schon vollere Kassen gesehen als in der Gegenwart. Ansonsten sind die Sorgen um die Präsidentenwahl hier selbstverständlich anders gelagert. Gewiß aber nicht geringer. Die in der ersten Siegesfreude nach dem 18. November geschmiedeten Pläne zum „Sturm auf das Präsidentenpalais“ haben realistischen Überlegungen Platz gemacht. Einiges mag dabei mitgespielt haben, daß Altbundeskanzler Landeshauptmann Ing. Figl, dessen Person bei jenen Kombinationen in den Mittelpunkt gestellt wurde, eher abgewunken bat. Leopold Figl ist Realist. Abgesehen davon, daß er vielleicht persönlich ein Duell mit dem „zweiten Konsul“ aus der Zeit gemeinsamen Regierens vermeiden möchte, kennt er die wetterwendische Gunst der Österreicher. Diese ist ihm zwar ohne Zweifel in Wien und im Land unter der Enns zur Zeit in stärkerem Maße als je zuteil, aber der Westen ist ein Fragezeichen. Dazu kommen die Erfahrungen Dr. Gleiß-ners, dem gerade manche seiner Oberösterreicher als Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme versagten, weil sie ihn als Landeshauptmann für sich behalten wollten.

Alles Überlegungen, die das Zögern Leopold Figls verständlich machen. Wer aber soll sich sonst auf den Schild heben lassen? Der „Vater des Staatsvertrages“, Julius Raab, scheidet aus jeder Kombination aus. Und Bundeskanzler Gorbach? Für den Regierungschef wäre es gewiß kein leichter Entschluß, alles auf eine Karte zu setzen. Eine Möglichkeit scheidet diesmal und wohl auch für die Zukunft überhaupt aus: die Wiederholung eines Experimentes ä la Denk, die Bemühung eines überparteiischen Wissenschaftlers für die Politik. Dabei war der Gedanke seinerzeit nicht der schlechteste. Er scheiterte aber daran, daß Österreich anscheinend nicht den Typus - des homo politicus in den Rängen der Wissenschaft, Forschung und Literatur kennt. Prof. Denk war eher genau das Gegenteil.

Mit der fruchtlosen Bemühung eines Fachmannes ist auch das unter „bürgerlichem“ Vorzeichen gelaufene Wahlbündnis mit der FPÖ nicht wiederholbar. Ihm ist keine Träne nachzuweinen. Trotzdem bleibt guter Rat teuer. Doppelt teuer, weil ein mißlungener dritter Anlauf auf die Position des Bundespräsidenten ohne Zweifel einige Steine aus der Siegeskrone des 18. November brechen müßte.

Unbehagen also links und rechts, wenn sich die Gedanken mit der künftigen Wahl des Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk beschäftigen. Denn eine Volkswahl wird es, wie die Verfassung es befiehlt, wieder sein. Welche Überlegungen immer um die kommende Präsidentenwahl angestellt werden, kein Politiker kann heute noch daran denken, den Plan einer Rückverlegung der Präsidentenwahl in die Bundesversammlung ernstlich zur Diskussion zu stellen. Diese Weiche ist überfahren. Ganz zu schweigen davon, daß solche Pläne in einer Zeit, wo man eine Ausweitung der „direkten Demokratie“ ernstlich erwägt, gerade das Verkehrteste wären.

Was bleibt? Die ernsthafte Frage, ob die Österreichische Volkspartei gegenüber der Kandidatur des gegenwärtigen Bundespräsidenten überhaupt einen Gegenkandidat en stellen muß. Solche Gedanken werden heute bereits in einigen Führungsgremien der Volkspartei in aller Ruhe diskutiert. Mit Recht. Aber das Prestige? Kann sich die Volkspartei überhaupt leisten, bei der Präsidentenwahl einmal „einzuschauen“? Wir glauben schon. Es wäre für die erste Regierungspartei gewiß schwierig, auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten zu verzichten und ihren Wählern die Abgabe weißer Stimmzettel zu empfehlen, wenn die Sozialistische Partei einen neuen Kandidaten ins Rennen schicken würde. Aber gegenüber einem amtierenden Staatsoberhaupt könnte ein solcher Schritt als eine noble Geste empfunden werden, die auch den Gegner verpflichten müßte: etwa dazu, Dr. Schärf nicht als Kandidaten der SPÖ herauszustellen, sondern seine Nominierung etwa einem „Wahlkomitee Dr. Schärf“ zu überlassen.

Was ist, wenn die FPÖ oder die Molden-Gruppe einen Kandidaten vorstellen? Könnte der Ausfall eines Kandidaten der Volkspartei nicht viele nichtsozialistische Wähler dazu bewegen, für den Kandidaten der Opposition zu stimmen? Dadurch würde diese doch auch für künftige Wahlgänge aufgewertet. Die erste Möglichkeit ist bestimmt nicht von der Hand zu weisen. Die letztere Gefahr scheint eher gering. Geringer auf jeden Fall als alle Gefahren, die aus einer von allem Anfang zur Revanchepartie verfälschten Präsidentenwahl entstehen könnten.

Und zwar für alle Beteiligten.

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