Vom Aderlass zu Globuli

Werbung
Werbung
Werbung

Das Interesse an Homöopathie, Akupunktur und Co. nimmt - sowohl bei den Patienten, als auch unter den Ärzten - stetig zu. Parallel dazu steigt das Misstrauen gegenüber einer wissenschaftsgläubigen "Schulmedizin", die den Menschen aus dem Blick verloren hat. Im vorliegenden Dossier kommen sowohl Anhänger als auch Kritiker der "Alternativmedizin" zu Wort - und sind sich in einem einig: Statt Kampf der Therapien ist Kooperation und Qualitätssicherung angesagt - zum Wohl der Patienten. Redaktion: Doris Helmberger Behandlungsmethoden jenseits der "Schulmedizin" haben eine lange Tradition.

Natur-Medizin vor dem Durchbruch", "Homöopathie im Aufwind", "Geistheilung auf Krankenschein?" - so hallt es seit einigen Jahren durch den deutschsprachigen Blätterwald. Das Geschäft mit der Außenseitermedizin blüht; davon profitieren nicht zuletzt die Medien, die häufig unkritische Berichte über Erfolge von "Wunderheilern" publizieren.

Was wie eine modische Zeiterscheinung aussieht, hat zahlreiche historische Wurzeln, die bis weit in die Medizingeschichte zurückreichen. Zwar sind die Begriffe "Alternativmedizin" oder "Komplementärmedizin" erst jüngeren Datums, doch kennt man das Phänomen bereits seit mehr als einem Jahrhundert. Begriffe wie "Quacksalberei", "Kurpfuscherei" und das Gegensatzpaar "Allopathie"-"Homöopathie" deuten bereits auf die zeitliche Dimension dieses Konflikts zwischen medizinischer Orthodoxie und einer außerschulischen Heilkunde hin. Ja, selbst der - vom Homöopathen Franz Fischer 1876 geprägte - Begriff "Schulmedizin", der heute immer noch die Diskussion beherrscht, verweist in eine Zeit, in der sich Anhänger der Homöopathie und Vertreter einer naturwissenschaftlichen Medizin mit zahlreichen Schimpf- und Schmähworten bekämpften.

Heilende Ähnlichkeit

Die "wissenschaftliche" Medizin, wie sie seit dem Mittelalter an Universitäten gelehrt wurde, war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts heillos zersplittert. Nicht nur aus diesem Grund hielten Ärzte lange Zeit an dem seit der Antike bekannten therapeutischen Dreigestirn (Aderlass, Brech- und Abführmittel) fest.

Einer der sich gegen diese unzulänglichen "Standardtherapien" wandte, war der deutsche Arzt Samuel Hahnemann (1755 bis 1843). In seinem "Organon" aus dem Jahr 1810 stellte er die Grundprinzipien der "klassischen" Homöopathie auf: darunter die Simile-Regel ("Krankheiten werden durch solche Arzneien behandelt, die an Gesunden ähnliche Symptome auslösen, wie die, an denen der Patient leidet") sowie die Vorschrift, die Arznei zu "potenzieren": Laut Hahnemann wird durch Verdünnen und Schütteln "etwas vom geistigen Wesen der Ursubstanz auf das Lösungsmittel übertragen".

Seit den 1850er Jahren konnte freilich die naturwissenschaftliche Medizin stark an Boden gewinnen. Die Ärzte, die dieser neuen Richtung eher skeptisch gegenüberstanden, spürten, dass sie sich durch ihr Festhalten an der traditionellen Betrachtungsweise der Gefahr aussetzten, sich auf die "Stufe der Quacksalberei degradieren" zu lassen. Genau das traf auch ein. So erklärte etwa ein Teilnehmer an der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte, die 1878 in Kassel stattfand: "So wird uns Ärzten das Evangelium der naturwissenschaftlichen Methode schon lange verkündet. Und wer unter den Ärzten dieses Evangelium nicht anerkennt, der verdient [...] den Namen eines Arztes nicht mehr."

"Irrlehre" Homöopathie

Weder die Befürworter noch die Gegner einer "Alternativen" Medizin sind sich meist bewusst, dass ihre Argumente für den Historiker oft ein Déjà-vu-Erlebnis auslösen. So enthält etwa die Erklärung des Marburger Fachbereichs Humanmedizin zur Homöopathie aus dem Jahre 1992, in der unter anderem von "Irrlehre" und "Aberglauben" die Rede ist, kein Vorurteil oder Stereotyp, das nicht schon Mitte der 1920er Jahre in der Auseinandersetzung um die Errichtung von Lehrstühlen für Naturheilkunde oder Homöopathie an preußischen Universitäten ins Feld geführt wurde. In einem Protestbrief der medizinischen Fakultät der Universität Marburg an das preußische Kultusministerium heißt es etwa, dass die Homöopathie auf unbeweisbaren Dogmen fuße und man wegen des "Ansehens der deutschen Wissenschaft" gegen die Erteilung eines Lehrauftrages für Homöopathie an der Berliner Universität Verwahrung einlege.

Bis heute findet man in der Diskussion eine breite Palette von Bezeichnungen, die auf den ersten Blick das gleiche gesellschaftliche Phänomen meinen und häufig bedenkenlos als Synonyme für "Alternativmedizin" verwendet werden: Traditionelle Medizin, Volksmedizin, Naturgemäße Heilweisen, Naturheilverfahren, Erfahrungsmedizin, Ganzheitsmedizin, Komplementäre Medizin, Besondere Therapierichtungen, Unkonventionelle Heilweisen, Nicht-etablierte Medizin oder Außenseitermedizin.

Methoden-Dschungel

Dabei deckt keiner dieser Begriffe das ganze Spektrum des "alternativen" Gesundheitsmarktes, wie er sich heute präsentiert und historisch entwickelt hat, völlig ab. Ayurveda etwa gehört nicht zu der in Europa über viele Jahrhunderte praktizierten Volksmedizin, von der wir manche Elemente (etwa die Kräutermedizin) noch heute in breiten Bevölkerungskreisen antreffen. Auch die Homöopathie (bei der die mehr oder weniger stark verdünnte Arznei in kleinen Kügelchen, den "Globuli", verabreicht wird) kann man nur schwerlich als ein echtes Naturheilverfahren bezeichnen, obgleich sie - ähnlich wie die traditionellen Naturheilverfahren - auf die Wiederherstellung der so genannten "Lebenskraft" abzielt.

Andererseits waren Heilmethoden, die wir hier und heute zur so genannten "Alternativmedizin" rechnen, nicht selten ein fester und anerkannter Bestandteil einer medikalen Kultur. Als Beispiel sei auf den Aderlass und das Schröpfen hingewiesen - Verfahren, die auf der antiken Vier-Säftelehre basieren und bis weit ins 19. Jahrhundert zur Standardtherapie gehörten. Inzwischen ist die Blutentziehung zu therapeutischen Zwecken zu einer Außenseitermethode geworden, die von den meisten Ärzten nur eingeschränkt als medizinisch sinnvoll eingestuft wird.

Erst eine historische Betrachtungsweise ermöglicht es also, Grundstrukturen und Gemeinsamkeiten alternativer Heilweisen zu sehen, die aus der zeitlichen Nähe nicht erkennbar sind.

Der Autor ist Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart.

Ganzheitsmedizin in Österreich

Laut einer market-Trend-Studie aus dem Jahr 2003 hat jeder zweite Österreicher schon einmal auf Homöopathie vertraut, jeder Vierte ließ sich akupunktieren. Auch in der Ärzteschaft erfreuen sich die komplementärmedizinischen Methoden wachsender Beliebtheit: Hatten im Jahr 1995 in Österreich nur 686 Mediziner das Ärztekammer-Diplom für Akupunktur und 120 jenes für Homöopathie vorzuweisen, so gibt es mittlerweile 2.316 diplomierte Akupunkteure und 515 diplomierte Homöopathen. Aber auch Ärzte, die über kein solches Diplom verfügen, können etwa Homöopathie anbieten. "In Österreich herrscht Therapiefreiheit", weiß Wolfgang Marktl, Präsident der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin. Wie viel der Kosten von der Krankenkasse refundiert wird, hängt von der Methode ab: Homöopathie wurde vom Obersten Sanitätsrat nicht als wissenschaftlich gesicherte Heilmethode anerkannt; Homöopathika werden also nur im Einzelfall bezahlt; Akupunktur kann bei bestimmten Indikationen auf Krankenschein beansprucht werden; Bachblüten-, Bioresonanz- und Magnetfeldtherapie sind nicht anerkannt. Kosten für eine Physiotherapie werden dagegen übernommen. DH

Nähere Infos unter www.gamed.or.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung