Singabur Pixabay/Arul - Ein Schiff in Singapur. - © Pixabay/Arul

„Die Kompromisse“: Eine bewegende Geschichte über Einsamkeit und Diplomatie von Florian Dietmaier

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In „Die Kompromisse“ erzählt Florian Dietmaier die Geschichte eines Diplomaten, dessen Leben durch internationale Einsätze und persönliche Konflikte geprägt ist. Der Roman besticht durch tiefgehende Reflexionen und eindrucksvolle Szenen.

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In „Die Kompromisse“ erzählt Florian Dietmaier die Geschichte eines Diplomaten, dessen Leben durch internationale Einsätze und persönliche Konflikte geprägt ist. Der Roman besticht durch tiefgehende Reflexionen und eindrucksvolle Szenen.

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Singapur 1960. Kopfüber die österreichische Handelsdelegation verlassen und danach in einem nahezu leeren Restaurant vor einem Berg von Essen den Erinnerungen an die erste Zeit im Außenministerium nachgehen. Da sind Minderwertigkeitsgefühle aufgrund von Unwissenheit, unzureichender Bildung und unpassender Interessen, auch Gedanken an die Protektion durch den Vater. Mit diesem Szenario eröffnet der Grazer Florian Dietmaier seinen ersten Roman „Die Kompromisse“, den er im Droschl-Verlag publiziert hat.

Peter, der Ich-Erzähler, ist nach seinem Studium der Geschichtswissenschaften – wie schon Vater und Großvater – als Diplomat in unterschiedlichen Ländern im Einsatz. Er stammt aus einer betuchten Familie und setzt in jungen Jahren behutsam auf sanften Widerstand. Dietmaier erzählt das Leben seines Protagonisten entlang ausgewählter Lebensstationen, die er aus einem Zeitspektrum von 1960 bis 2020 heraushebt und mit dessen vielfältigen Erinnerungen anreichert. Bei einer Konferenz in den USA lernt er seine spätere Frau Jane kennen, mit der er einen Sohn, Paul, hat. Dieser Ehe ist jedoch kein dauerhaftes Glück beschieden. Die beiden leben sich kontinuierlich auseinander – wohl auch, weil sein Herz eigentlich John gehört – und trennen sich vor Peters endgültiger Rückkehr nach Wien. Hier verbringt er viel Zeit in seiner großen Bibliothek und beschäftigt sich auch im Alter noch intensiv mit Literatur, dem Weltgeschehen und seinen Tagebüchern.

Zwischen Weltbühne und Familienleben

Die einzelnen Spots auf diplomatische Stationen belichten nicht nur Aufenthalte in großen, begehrten Städten wie New York oder Genf, sondern auch kleine, unbekannte Destinationen. So wird Peter auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten für Wirtschaftstreibende einmal auf der mikronesischen Pazifikinsel Nauru empfangen. Sie hat eine wechselvolle Geschichte vorzuweisen und ist aufgrund der Entdeckung „großer Ablagerungen von phosphathaltigem Guano“ für andere Staaten in ökonomischer Hinsicht interessant.

Als sein Enkel David später einmal bei ihm zu Besuch ist und auf seiner Playstation im Spiel „Kowloon“ die „Walled City“ auftaucht, erinnert er sich an eine Tagung in Rom. Kurz bevor Kowloon eingestampft wurde, haben Architekten diesen früheren Stadtteil Hongkongs genau vermessen, ein Buch darüber herausgebracht und den Fall als Beispiel für „optimierte Raumgestaltung in dichten Innenstädten“ präsentiert. Peter hat damals ein Exemplar bekommen, das jetzt sogar – trotz der Computerobsession – die Aufmerksamkeit des Enkels weckt.

Bleibt noch die Frage nach den Auswirkungen der vielen Ortswechsel und Umzüge. Was hat das mit seiner Familie gemacht? Ist seine Ehe daran gescheitert? Sie hätten genug Zeit füreinander gehabt, ist Peter überzeugt. Und sein Sohn? „Wie würde Paul sich fühlen, als Amerikaner, Serbe, Franzose, Österreicher? (…) Das Umherziehen, das ihn früher so geärgert hatte, war ihm später sehr leichtgefallen und … ein Bedürfnis geworden. Um herauszufinden, wo auf dieser Welt er hingehörte, dazugehörte.“

Rückblenden und Reflexionen

All die Blitzlichter auf die unterschiedlichsten Lebensabschnitte sind durchzogen von Rückblenden, in denen Verhandlungen stattgefunden haben, wirtschaftliche Fäden geknüpft wurden oder man schlicht einen Teil der – auch österreichischen – Geschichte geschrieben hat. Dietmaier belichtet in diesem diplomatischen Kosmos viele Seitengespräche, die global betrachtet auch bedeutend für historische Entwicklungen waren. Interessant ist seine Beschäftigung mit unbekannten Facetten des politischen Weltgeschehens, mit Hintergrundbildern, in die sehr harmonisch vielfältige Gedanken über die Literatur und das Dasein einfließen. Dietmaier präsentiert hier einen Roman über ein Leben mit Kompromissen, aber auch über die Einsamkeit und die Unfähigkeit, einander Nähe zu schenken. Echte Emotion gibt es erst sehr spät. Sie klingt nach.

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel "Diplomatischer Drahtseilakt" am 27. Juni 2024 erschienen.

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