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Literarische Kristallisationsfigur der Nachkriegsjahrzehnte und genaue Beobachterin in Bombennächten und Ruinenlandschaften: Zum Tod von Jeannie Ebner.

Jahrelang stand Jeannie Ebner im Zentrum des literarischen Lebens, und das begann nicht erst mit ihrer Tätigkeit als Redakteurin der Literaturzeitschrift "Literatur und Kritik" von 1968 bis 1978. Ihre winzige Wohnung war schon in den späten vierziger Jahren Treffpunkt für die Jungen wie H. C. Artmann, René Altmann oder Hertha Kräftner. Sie war in den literarischen Zirkeln der Zeit verankert. Ihre Lyrik erregte im "Art Club" Aufsehen, sie nahm am "Poetischen Act" der "Wiener Gruppe" ebenso Teil wie an den Treffen in Gerhard Lampersbergs "Tonhof" und arbeitete an Hans Weigels Anthologiebänden "Stimmen der Gegenwart" mit. 1954 erschien hier die erste Erzählung Thomas Bernhards, mit dem Ebner von da an über Jahre befreundet war. In der Affäre rund um sein Buch "Holzfällen" hat sie dennoch mit bewundernswerter Nonchalance und Großmut (nicht) reagiert.

"Haarscharfes Wohlwollen"

Über Jahrzehnte begleitete und förderte sie mit "haarscharfem Wohlwollen" (Edwin Hartl) und bewundernswerter Offenheit für literarische Konzepte, die durchaus nicht ihre eigenen waren, den Werdegang eines Großteils der heute arrivierten Autorinnen und Autoren. Anders als die männlichen Akteure des literarischen Feldes hat sich Jeannie Ebner nie offensiv als Mentorin präsentiert und ist damit in dieser Funktion weitgehend durch das grobmaschige Netz der literarhistorischen Wahrnehmung gefallen. "Mein Ehrgeiz ging nie danach, Hauptrollen zu spielen", schreibt sie in ihrem autobiografischen Roman "... und hat sein Geheimnis bewahrt" (1991).

Zu publizieren begonnen hat Jeannie Ebner relativ spät. Geboren am 17. November 1918 in Sydney, verlebte sie ihre Kindheit in Wiener Neustadt, zunächst in sehr wohlhabenden Verhältnissen. Auf ihre paradiesische Kindheit wird sie in ihrem Werk immer wieder zurückkommen, ("Die Wildnis früher Sommer", 1959; "Papierschiffchen treiben", 1987).

Frau in der Nachkriegszeit

Das ändert sich mit dem frühen Tod des Vaters und kurz darauf des Bruders radikal. Jeannie Ebner muss die Mittelschule abbrechen, und was als Lehrling in einer Spedition begann, endet mit einer durchaus beachtlichen Karriere als selbständige Leiterin mit 35 Angestellten. Daneben studiert sie Bildhauerei an der Kunstakademie Wien. Ab 1946 lebt sie in Wien und erlebt beruflich das Schicksal vieler Frauen, für die nach der Rückkehr der geschlagenen Krieger kein Bedarf mehr bestand. Sie ist Stenotypistin, dann arbeitslos, bis sie sich entschließt, als freie Autorin und Übersetzerin (u. a. Doris Lessing, Edna O'Brien) zu leben.

Schon ihre erste Buchpublikation "Gesang an das Heute" (1952) lässt im Rückblick mit einer starken und unverblümten Darstellung des Lebensgefühls um 1945 aufhorchen. So deutlich wird damals über die Zeit der Bombennächte und der Ruinenlandschaft selten gesprochen. Eine dichte Beschreibung der Situation der jungen Generation ist auch die lange Erzählung "Blühendes Gras" in dem 1979 erschienenen Band "Erfrorene Rosen", der auf Tagebuchaufzeichnungen zurückgeht. Erzählt wird die Geschichte einer aus jugendlichen "Displaced Persons" zusammengewürfelten Freundesgruppe, die sich nur mühsam im verordneten Optimismus der Wiederaufbauzeit zurechtfindet.

1954 erscheint ihr erster Roman "Sie warten auf Antwort", der - durchaus im Trend der Zeit - das "Provisorium des Krieges oder des Hungers oder der übermenschlichen Mühe des Aufbauens, der langen Jahre der Schuld und der Jahre der Entsühnung" mit surrealen und kafkaesken Mitteln zu fassen sucht. Schon hier zeigen sich zwei Charakteristika von Ebners Prosa: Der Rückgriff auf Mythen und Symbole, mit dem über existenzielle und religiöse Fragen gehandelt wird, und das Geschick, realistische Genrebilder des Alltags und plastische Figurenporträts (hier etwa die Hausmeisterin Materna) zu entwerfen. Und wenn jüngst behauptet wurde, es gäbe keine literarischen Beschreibungen der Bombennächte, dann zeigt das nur, wie sehr ihr Roman "Figuren in Schwarz und Weiß" (1964) in Vergessenheit geraten ist, der auch die Frage der Mitschuld an den NS-Gräueln thematisiert.

Jeannie Ebner scheint ein paradoxes Beispiel dafür, wie Huldigungen in falschen Tönen zum Rezeptionshindernis werden können. Als sie 1978 die Zeitschrift "Literatur und Kritik" verließ, veröffentlichte der Verlag als Dank für "ihre mutige Alleinarbeit" (auch das eine sprechende Formulierung in punkto Geschlechterverhältnis) einige Aufsätze zu ihrem Werk, die von heute aus gesehen mehr als antiquiert wirken. Da ist viel die Rede von "Gestaltung fraulichen Erlebens", "eigener Weibwerdung", von "Urheimat", "Leben als solchem", "Sosein" und "Alleinheit". Die salbungsvolle Reduktion auf das "Rätsel Weib" und das - durchaus vorhandene - Numinose und Surreal-Traumhafte ihrer Dichtung (das auch viele Rezensionen prägt) positionieren Jeannie Ebener in eine Nische, die ihrem Werk nicht gerecht wird.

Zu früh gekommen

Selbst ihr Roman "Drei Flötentöne" (1983) mit den ineinander verwobenen Lebensentwürfen dreier Frauen kam offenbar zu früh, um von der gestiegenen Sensibilität für literarische Frauenfiguren zu profitieren. Jeannie Ebner war keineswegs eine frühe Feministin, aber sie war eine genaue und schonungslose Beobachterin, auch und vor allem von Frauen. Mythische und religiöse Gleichnisse als Interpretations- und Bewältigungshilfen der Frage nach Schuld und Schicksal sind zentraler Bestandteil ihrer Lyrik ("Gedichte", 1965; "Gedichte und Meditationen I und II", 1978 bzw. 1987) wie ihrer Prosa. Doch ihr analytischer Blick entnimmt die Bilder dem realen Leben und sucht in ihnen nach Antworten auf metaphysische Fragen. Und das verankert ihre Texte im sehr Irdischen, wo der Mensch der Maßstab - nicht das Maß - aller Dinge ist.

Jeannie Ebners Bücher schafften bislang nicht den Sprung in eine neue Generation von Lesern und Wissenschaftlern. Ihr Tod am 16. März 2004 könnte ein trauriger Anlass sein, mit der lohnenden Neulektüre ihrer Werke zu beginnen.

Im Buchhandel erhältlich:

FLUCHT- UND WANDERWEGE. Prosa

Literaturedition Niederösterreich 1998

180 Seiten, brosch., e 10,90

GEDICHTE UND MEDITATIONEN II

Grasl Verlag 1987, 64 Seiten, e 8,-

Es ist Dir wohl recht, liebe Jeannie, daß mir die Ehre zugefallen ist, Dir ein paar Worte nachzurufen, himmelwärts, in den Äther der Dichter - und natürlich auch Dichterinnen...

lange Zeit waren Deine Bücher vergriffen, nach dem Hingehen Deines Verlages, aber dann hast Du im Styria-Verlag eine späte Heimat gefunden: etliche Deiner Bücher sind dort in anständigen Ausgaben neu publiziert worden, und das hat Dich auch zu einer Spätblüte gebracht. im Erzählen warst Du eine Meisterin der Anschaulichkeit, und von einem speziellen Reiz war Deine akademisch unverdorbene Naivität, Dein Hang zu "mystischen Spekulationen", wenn Du diesen Verlegenheitsausdruck erlaubst, Deine "esoterische Schlagseite" - daß mir die meisten Deiner Gedichte zu "spirituell" waren, das hat Dich nicht gestört, "Meditationen" hast Du sie genannt: Bei aller Distanz zur katholischen Kirche (für viele deren Notwendigkeiten als eine Weltorganisation hast wiederum Du als ein sehr weibliches Wesen wenig Sinn gehabt) hast Du "religiöse Gedichte" geschrieben, und deren etliche sind ja auch in einer Bischofskirche rezitiert worden...

als Herausgeberin von Literatur und Kritik hast Du Dich vieler von uns Jüngeren angenommen, vielen von uns zu den ersten Publikationen verholfen, großmütig frei von jeder Eifersucht; hast beispielsweise mich nach meiner ersten Zusendung in die Redaktion kommen lassen, um mir dies und das zu denken zu geben...

für meine Arbeit hast Du mir einmal "Gelassenheit" gewünscht, und jetzt müsstest Du mir sagen können, was ich Dir zurückwünschen dürfte - helle Morgenhimmel? klare Nachthimmel? Himmelschlüsselwiesen?

Dein Julian Schutting

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