"Er war ein Spätstarter"

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Der Wiener Physiker Walter Thirring über seine Begegnungen mit Albert Einstein.

Die Furche: Sie haben Albert Einstein 1953 und 1954 in Princeton getroffen. Was hat Sie an seiner Persönlichkeit am meisten fasziniert?

Walter Thirring: Die Gesamtpersönlichkeit. Er hat ja nicht nur sehr viel für die Physik gemacht, sondern sich auch politisch engagiert. Zur Zeit, als ich ihn kennen gelernt habe, in der McCarthy-Ära, war das politische Klima sein Hauptanliegen. Aber abgesehen davon hat er doch noch seine Liebenswürdigkeit und seinen Witz bewahrt. Das alles hat mich beeindruckt.

Die Furche: Einstein hat die Grenzen der damaligen Physik gesprengt. Was hat es ihm möglich gemacht, quer zu traditionellen Denkmustern zu denken?

Thirring: Er hat immer gesagt, dass er ein Spätstarter war. Und über viele Dinge, die für unser Empfinden von Raum und Zeit selbstverständlich sind, hat er erst viel später nachgedacht - und dafür gründlicher. Er hatte ein gewisses Misstrauen gegenüber dem, was er eingetrichtert bekam. Vielleicht hat hier auch das religiöse Leben von Einstein hereingespielt. Er war ja bis zu seinem zwölften Lebensjahr sehr religiös, obwohl er aus einer nichtreligiösen jüdischen Familie kam. Dann ist das ins Gegenteil, in einen tiefen Skeptizismus, umgeschlagen. Er hat gemeint, man werde absichtlich von den Oberen betrogen. Deswegen hat er wahrscheinlich alles in Zweifel gezogen - nicht nur auf religiöser, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene.

Die Furche: Friedrich Dürrenmatt hat einmal gemeint: "Einstein pflegte so oft von Gott zu reden, dass ich beinahe vermute, er sei ein verkappter Theologe gewesen." ...

Thirring: Dass es einen Schöpfer gibt, war für Einstein Gewissheit. Er hat aber jedes anthropomorphe Gottesbild abgelehnt. Andererseits war sein Gottesbild zu anthropomorph, sodass ihn das schließlich auf Irrwege geleitet hat. Denn eines von Einsteins Dogmen war: Gott würfelt nicht. Und daran hat er stets festgehalten und deshalb die Quantenmechanik, in der ja der Zufall eine große Rolle spielt, abgelehnt.

Die Furche: Sie haben einmal gemeint, dass Einstein mit der Relativitätstheorie nur die klassische Physik konsequent zu Ende gedacht hätte. Die eigentliche Revolution sei die Quantentheorie gewesen...

Thirring: Die Relativitätstheorie, so paradox sie erscheint, ist nur eine logische Konsequenz der klassischen physikalischen Gesetze. Etwa auch der Umstand, dass keine Gleichzeitigkeit gegeben ist - wobei viele sagen: Es gibt keine Gleichzeitigkeit. Das stimmt aber so nicht: Sie ist in der speziellen Relativitätstheorie schon definierbar, aber nicht durch die Naturgesetze definiert. Das ist wie bei den Begriffen oben und unten: Die sind auf der Erde auch relativ - je nachdem, wo man steht. So ist es auch mit der Gleichzeitigkeit. Tatsache ist, dass Einstein mit dem konsequenten Fortdenken der klassischen Gleichungen ungeheuren Erfolg gehabt hat und geglaubt hat, das muss immer so weitergehen. Aber dem war nicht so. Er hat in der Quantenmechanik die Paradoxa natürlich sehr gut herausgearbeitet. Deswegen konnte man experimentell genau den Finger darauf legen. Das experimentelle Resultat hat aber am Ende bewiesen, dass Einstein sich geirrt hat.

Die Furche: Er hat sich auch in einem anderen Fall geirrt: Sie schreiben in Ihrem Buch "Kosmische Impressionen", dass Sie sich mit Einstein einmal über die Entstehung von Teilchen aus dem Nichts unterhalten haben - etwas, was später unter "Hawking-Strahlung" bekannt werden sollte...

Thirring: Genau. Einstein hat diese Konsequenz der Quantentheorie strikt abgelehnt. Dass Teilchen aus dem Nichts geschaffen werden, ist ihm gegen den Strich gegangen.

Die Furche: Einsteins Methode war dadurch gekennzeichnet, dass eine Theorie an der Erfahrung geprüft wurde - und nicht aus der Erfahrung eine Theorie entstand...

Thirring: Diese Einstellung hat ja mit der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Einstein 1916 formuliert hat, einen überaschenden Erfolg gebracht. Einstein hat ja die Allgemeine Relativitätstheorie vorerst nur auf dem Äquivalenzprinzip festgemacht - also auf dem Prinzip, dass sich Schwerkraft und Beschleunigung in ihrer Wirkung gleichen, dass sie äquivalent sind. Wenn man in einem Aufzug ist und nichts sieht, weiß man nicht: Ist man beschleunigt oder spürt man die Gravitation? Allein aus dieser Überlegung hat er sein ganzes Gebäude aufgebaut. Dass er dann natürlich nach harter Arbeit zu den richtigen Gleichungen gekommen ist, ist eines der Wunder der theoretischen Physik.

Die Furche: Dass man Einsteins Theorien vorerst nicht überprüfen konnte, hat nicht zuletzt dem Nobelkomitee Probleme gemacht...

Thirring: Ja, er hat weder für die Spezielle, geschweige denn für die Allgemeine Relativitätstheorie den Nobelpreis bekommen, sondern für den photoelektrischen Effekt, der ja ironischerweise die Grundlage der Quantentheorie war, die er nicht haben wollte.

Die Furche: Manche bezeichnen Einstein wegen seiner Formel E=mc2 als "Vater der Atombombe". Wie würden Sie Einsteins Beitrag qualifizieren?

Thirring: Es ist schon so, dass die Formel E=mc2 zum Bau der Atombombe benutzt wurde. Aber natürlich ist der Mechanismus der Spaltungsatombombe wesentlich komplizierter. Einstein als "Vater der Atombombe" zu bezeichnen, ist deshalb sicher falsch.

Die Furche: Die politische Rolle Einsteins wird oft an seinem Brief an Präsident Roosevelt festgemacht, in dem er ihn quasi zum Bau der Atombombe aufgefordert hat...

Thirring: Er hat diesen Brief nur unterschrieben - konzipiert haben ihn Leo Szilard und Eugene Wigner. Wobei Einstein das nach dem damaligen Wissensstand wohl machen musste, denn er hat gesehen, dass Deutschland die Uranspaltung gefunden hat und es dort Wissenschafter gab, die das auswerten konnten. Wenn Hitler allein die Atombombe gehabt hätte, wäre das eine Katastrophe für die Welt gewesen. Dass es nicht dazu gekommen ist - vor allem, weil man in Deutschland dachte, dass ein paar tausend Kilo Uran nötig sein würden, weswegen man sich gar nicht erst bemüht hat - das konnte Einstein ja nicht wissen.

Die Furche: Haben Sie mit Einstein je über Hiroshima gesprochen?

Thirring: Nein. Es war wohl offensichtlich, dass der Abwurf der Atombombe Einstein zu schaffen gemacht hat. Aber ich wollte da nicht weiter nachbohren.

Die Furche: Sie haben Einstein während der McCarthy-Zeit getroffen, wo auch er selbst vorgeladen wurde. Hat er angesichts der Schikanen darüber nachgedacht, die USA zu verlassen?

Thirring: Eigentlich nicht. Aber er hat natürlich Stellung genommen. Wie diese Befragungen abgelaufen sind, habe ich ja selbst verfolgt. McCarthys Inquisitoren haben einmal eine schwarze Putzfrau eines Militärlaboratoriums interviewt, ob sie irgendwelche kommunistischen Verbindungen hatte und eine Spionin war. Sie wurde gefragt, ob sie einen Mr. Smith kennt - das war ein prominenter Kommunistenführer. Und sie hat ja gesagt. Dann kam man aber drauf, dass sie einen schwarzen Mr. Smith gekannt hat, und der Gesuchte ein Weißer war. Aber die haben das mit den Worten weggewischt: "Das ist ein kleines Detail, das man später klären kann."

Die Furche: Inwiefern betrachten Sie selbst Einstein als Vorbild - persönlich und physikalisch?

Thirring: Natürlich ist seine geistige Lebhaftigkeit ein Ideal. Aber das Jahr1905 als Ideal darzustellen, wo er auf drei ganz verschiedenen Gebieten bahnbrechende Arbeiten publiziert hat, ist ein bisschen hoch gegriffen. Vorbildhaft war sicher seine Unabhängkeit im Denken. Leider hat das bei ihm auch zu einem gewissen Altersstarrsinn geführt - und das ist nicht wirklich ein Ideal.

Die Furche: Er hat sich ja am Ende in der "Weltformel" verrannt...

Thirring: Er hat sich verrannt in dem, was Werner Heisenberg als "Weltformel" bezeichnet hat und was man heute "Theory of everything" nennt, eine Theorie, die alle Naturgesetze auf eine Formel reduziert. Aber die zu finden war ihm nicht mehr gegeben.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Walter Thirring, Sohn des Physikers Hans Thirring, ist emerit. Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien. Er forschte u.a. am CERN in Genf, am Institute for Advanced Study in Princeton und am MIT in Cambridge, USA sowie am Max-Planck-Institut in Göttingen bei Werner Heisenberg und an der ETH Zürich bei Wolfgang Pauli.

BUCHTIPP:

KOSMISCHE IMPRESSIONEN

Gottes Spuren in den Naturgesetzen.

Von Walter Thirring. Molden Verlag,

Wien 2004. 216 Seiten, geb., e 24,80.

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