7123879-1996_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Stille Nacht an den Universitäten

19451960198020002020

Eigentlich müßte die Volkspartei die vehementeste Gegnerin von Studiengebühren sein.

19451960198020002020

Eigentlich müßte die Volkspartei die vehementeste Gegnerin von Studiengebühren sein.

Werbung
Werbung
Werbung

Studiengebühren sind ein todlangweiliges Thema. Das immer ewiggleiche Pro- und Con-tra-Spiel ödet immer mehr Mitspieler an. Ein Rlick aus dem Fenster ist da viel spannender. Schließlich zieht die Adventszeit gerade ins Land, wohlriechende Glühweindämpfe, leuchtende Kerzen aus Rienen-wachs und taubgefrorene Nasenspitzen in ihrem Gefolge. Die Nächte dehnen sich aus und eine vorweihnachtliche Stimmung greift um sich. Eine besinnliche Zeit, immer gut für einen Rlick i£i die Vergangenheit. Heute vor einem Jahr befand sich unter meinem Zimmerfenster ein Plakat. Es war Wahlkampf, und der „Schüssel-Ditz-Kurs” war Restandteil des Stadtbildes. Ich erinnere mich an jenen ÖVP-Refrain, der bei jeder Gelegenheit „strukturelle Reformen statt cinnahmenseitiger Mäßnahmen” einforderte und der für mich auch heute noch zu den geschicktesten innenpolitischen Losungen der jüngeren Vergangenheit zählt. Die unerträgliche Leichtigkeit des „common sense” scheint inzwischen von der ÖVP abgefallen zu sein.

Halten wir fest: Studiengebühren sind keine stukturelle Reform. Zumindest keine strukturelle Reform im Sinne der OVP, die sich zwar die Forderung aber sicher nicht den bürokratischen Mehraufwand auf die Fahnen heften möchte, denn je mehr Rücksicht ein Gebührenmodell auf die individuellen Lebenslagen von Studierenden nehmen würde, desto mehr hätten die erforderlichen Nachweise, Prüfungen und Re-scheide eine „Umverteilung” von Familieneinkommen in Richtung Verwaltungsapparat zur Folge. Somit sind Studiengebühren genau jene einnahmenseitigen Maßnahmen, die der „Schüssel-Ditz-Kurs” zu Recht als kurzsichtige Geldbeschaffungsmaßnahme verurteilte.

Sollte unser Uni-System, über dessen Wert es im übrigen keine öffentliche Diskussion gibt, tatsächlich zu teuer sein, warum setzt dann eigentlich niemand bei Prüfungstaxen, Drittmittelgebarung, Raumnutzungsplanung, Lehrverpflichtung, Retriebskosten, Verwaltungsstrukturen, Rauaufträgen oder anderen Kosten an, die nicht selten mit der Versteinerung unserer Wissenschaftsstrukturen Hand in Fland gehen? Nein, Studiengebühren müssen es sein.

Warum eigentlich? Die mit Studiengebühren verbundenen Zielvorstellungen sind mindestens ebenso diffus wie die zu ihrer Unterstützung gesammelten Argumente zahlreich - und nicht selten auch absurd. Da gibt es eine OVP, die plötzlich ihr Herz für den niedrigen Arbeiterkinder-Anteil an heimischen Universitäten entdeckt, anstatt ein Schulsystem zu durchleuchten, in dem Arbeiterkinder deutlich seltener bis Foto w zur Matura kommen. Oder eine SPÖ, die angesichts unserer Hochschulen einen längst verloren geglaubten Umverteilungseifer entwickelt, anstatt ein Steuersystem anzugehen, in dem auch Kinder gut verdienender Eltern ein Sozialstipendium erhalten. Da kommen auch jene zu Wort, die sich mehr Studieren de erwarten, die auf ihre Rechte als Konsumenten von Universitätsleistungen pochen und gleichzeitig studenti-sehe Mitbestimmungsrechte als betriebswirtschaftlich ineffizient bekämpfen. Oder jene, für die einfach zu viele Studenten zu lange auf der Uni sind und die lieber die Finanzschlinge zuziehen wollen, als ehrlicherweise einen Numerus Clausus zu fordern. Und so ließen sich noch viele weitere Argumente austauschen, die sich geschickt an der Frage nach der hochschulpolitischen Zielvorstellung vorbeischwindeln. Das muß doch langweilen.

Amüsanter ist es da schon, wenn es plötzlich sogar „sozial gerechte” Studiengebührenmodelle geben soll, obwohl nicht einmal das österreichische Stipendienwesen dieses Prädikat verdient, sondern mit den Re-griffen „löchrig”, „unzureichend” und „begrenzt treffsicher” vorlieb nehmen muß. So gibt es meiner Auffassung nach nur einen wirklichen Grund für die Einführung von

Studiengebühren, nämlich das damit verbundene Ende einer Diskussion, die nur zu Verunsicherung und Lähmung im Universitätsbereich führt.

Der Schluß dieser ermüdenden Debatte müßte eigentlich der OVP ein besonders Anliegen sein, geht doch die Verunsicherung stark zu ihren Lasten. Jene „sozial Redürftigen”, die heute bereits ein Stipendium bekommen, können die Diskussion schließlich halbwegs beruhigt verfolgen - sie werden in allen potentiell mehrheitsfähigen Modellen von Studierf-gebühren verschont. Wenn Studiengebühren aber halbwegs die Kassen klingeln lassen sollen, dann werden jene, deren Eltern knapp zuviel verdienen und deshalb gerade kein Stipendium bekommen, draufzahlen. Die typische Retroffene ist weiblich und stammt aus einer mehrköpfigen Familie, die zwar ein gutes Familieneinkommen besitzt, aber sich mehrere studierende Kinder trotzdem nicht leisten kann. (Allzugerne wird übersehen, daß der offene Hochschulzugang zumindest eine „Umverteilung” zugunsten von Frauen bewirkt hat.) Soziale Absicherung ist jedenfalls angesichts einer Mehrheit von Studierenden, de-ren Monatseinkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt, ein äußerst dehnbarer Regriff. Und darum erscheint schwer nachvollziehbar, warum die ÖVP ausgerechnet der durchaus bürgerlichen Mittelschicht mit etwas höherem Rildungsniveau und bisher überraschend großer Haider-Resistenz an den Kragen gehen möchte.

Den Reratern Wolfgang Schüsseis sei jedenfalls die Konsultation der einschlägigen demographischen Daten empfohlen. Schließlich sollte die ÖVP vor den Heiligen Drei Königen Zeit zum gründlichen Nachdenken finden und vielleicht kommen dabei ja auch - getreu des Schüssel-Ditz-Kurses und seiner Reformlosungen -tatsächliche Vorschläge für die Wissenschaftspolitik heraus. Es wird Zeit, einfach mal was anderes zu machen. Denn eigentlich herrscht an unseren Universitäten vielerorts bereits stille.Nacht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung