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Entscheiden Lehrer oder Schüler?

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Tritt der Architekturstudent in. die Akademie ein, so hat er bereits gewisse fachliche und geistige Voraussetzungen (Bundesgewerbeschule — Fachrichtung Hochbau oder die erste Staatsprüfung der TH), um entscheiden zu können, welchem Professor er sich „unterwirft“. Es mag überheblich klingen, wenn man sagt, daß sich der Schüler den Professor aussucht, doch das letzte Wort spricht dann ohnehin der künftige Lehrer.

Studienbeihilfe — die Basis zu schmal!

Wäre die Tatsache, daß an den Akademien je Professor nur etwa 15 Hörer aufgenommen werden können (ewiger Platzmangel!) und daß die beiden Technischen Hochschulen seit Jahren schon überlaufen sind, nicht Grund genug, das Architekturstudium einer gründlichen Reform zu unterziehen? (Eigentlich sollte man das Wort Reform gar nicht gebrauchen, denn mit diesem Wort wurde in letzter Zeit viel Unfug getrieben. So wunderbar das neue Studienbeihilfegesetz auch sein mag, es ist — leider — verfrüht. Hör- und Zeichensäle sowie moderne Laboratorien und Studentenheime hätte man zuerst schaffen müssen! Oder hält man im Unterrichtsministerium eine geheime Wunderwaffe gegen die erhöhte Studentenschar bereit? Eine herrliche Fassade, gleich einem Wolkenkratzer, hat man aufgestellt und dabei auf das Fundament vergessen!)

Man blicke einmal über die Grenzen und prüfe nach, wie denn das Ausland seine Architekten heranbildet!

Das Beispiel des Auslandes

In Großbritannien findet man den Architekturstudenten dort, wo er hingehört, nämlich an der Universität. Nicht weniger als zehn Universitäten haben je eine Fakultät für „Fine Art“, an denen man es zum Diplom bringen kann. Die durchschnittliche Studiendauer beträgt fünf Jahre. Im konservativen Cambridge sechs Jahre, dagegen an der modernen Universität von London, seit einer Studienreform im Jahre 1960, nur drei Jahre. Diese Reform in London bestand darin, daß man einige Vorlesungen ganz gestrichen hat, andere wieder auf

.ein-.Miirinaumy®äuriflrte/ Es handelte sich um Vorlesungen rein technischer Art, die doch nur für den Bauingenieur oder Statiker bestimmt sein konnten.

Zwei neue, unserer Zeit entsprechende Vorlesungen wurden aber im Lehrplan aufgenommen: 1. „Biologische“ und 2. „Soziale Wissenschaften in Bezug zur Architektur“. Die meiste Zeit wird aber dem künstlerischen Entwurf im Atelier und den Materialstudien im Labor gewidmet. Ein überdurchschnittliches Maturazeugnis, ein Talententest sowie der kurze Aufenthalt von nur drei Jahren in den Räumlichkeiten der Universität verhindern ein Überfüllen der Fakultät (allerdings riiicht den Andrang von Aufnahmebewerbern; der wird bei so günstigen Verhältnissen eher noch beachtlicher!).

Und Finnland? In diesem führenden Land Europas in Fragen der

Architektur gibt es für das Architekturstudium nur die Universität von Helsinki. Auch hier wird ein überdurchschnittliches Maturazeugnis verlangt. Dazu kommt eine sehr strenge Eignungsprüfung, welche die Talente aus der großen Bewerberzahl herauslesen soll. (Eine Hochschule wird bekanntlich nur selten von Talenten überfüllt!)

Die Vereinigten Staaten bieten vielleicht die größten Möglichkeiten, Architektur zu studieren. Eines der Gespräche, die der Schreiber dieser Zeilen im letzten Sommer mit Professor Richard J. Neutra führen durfte, soll hier zitiert werden. Neutra ist ja nicht nur einer der berühmtesten Archifektefi ifrist'fer Zeit, sondern ebenso-einer derqirö-t filiertesten Lehrer.

„Die einzig richtige Art, Architektur zu lernen, ist auf der Basis eines Lehrbuben. Wie ein Tischler oder Bäcker seine Kunst von einem Meister erlernt, so sollte auch der werdende Architekt die Kunst des Bauens von seinem Lehrarchitekten übernehmen. Voraussetzung dafür ist aber, daß der Schüler eine sehr gute Allgemeinbildung mit sich bringt und auch sehr vielseitige Interessen zeigt. Ich habe selbst in meinem Atelier unzählige junge Männer zu zum Teil hervorragende Architekten herangebildet. Sie hatten so die Möglichkeit, ständig im Kontakt mit den neuesten Methoden und Materialien zu bleiben. Auch nahm ich immer den einen oder anderen mit zu Kundenbesuchen, denn ich finde, es hat keinen Sinn, gut entwerfen zu können, wenn man seine Gedanken nicht an den Mann bringen kann. So habe ich den Umgang mit Klienten gelehrt, etwas, was man an keiner Architektenschule erlernt.“

Harvard machte den Anfang

Soweit Professor Neutra. Nun, wäre er nicht rechtzeitig (1923) von Wien nach Amerika ausgewandert, hätte auch er seine Gedanken nicht so verwirklichen können. In den Staaten aber war es seit eh und je ganz selbstverständlich, daß ein werdender Architekt bei einem älteren Meister dieses Fachs im Atelier lernt.

1868 bot als erste die Universität von Harvard die Möglichkeit eines akademischen Architekturstudiums. Diese Fakultät hat dann unter dem

Namen „Graduate School of Design at Harvard University“ Berühmtheit erlangt (1938 bis 1952 war der deutsche Architekt Walter Gropiys ihr Vorsitzender).

Wenn sich zwar seit der Jahrhundertwende die Architekturschulen bedeutend vermehrten, so ist die ’T.ehrbufeenpraxis .immer noch üblich. 'Das Studium an der Universität dauert etwa vier Jahre, dazu kommen, um selbständig werden zu können, drei Jahre Praxis. Beginnt man aber als Lehrbub zu studieren, so werden insgesamt zehn bis zwölf Jahre verlangt.

Auch ein Weg für Österreich?

Würden wir in Österreich nur einmal einsehen, daß wir manches vom Ausland noch lernen können, dann müßten uns doch nach all diesen Betrachtungen einige nützliche Gedanken kommen! Könnte uns die Lehrbubenpraxis nicht ein wenig aus dem Chaos, in dem Lehrer und Schüler gleichermaßen schwimmen, heraushelfen? Wenn man den Lehrplan ein wenig entrümpelte (die Architekturstudenten wollen doch nur Architekten werden und nicht Statiker oder Bauingenieure!), so würde man bald finden, daß man Architektur — bei einiger Adaptierung — auch in Österreich an den Universitäten lehren kann. Somit könnten Innsbruck und später Salzburg einen Beitrag zur österreichischen Architektur leisten. Da aber die Universitäten vorerst über keine Zeichensäle verfügen würden, zwingt sich doch der Gedanke auf, ob der Student nicht auch als Lehrbub in ein Atelier gehen könnte.

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