"Tendenz zum Worst-Case“

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Wenn sich die Erderwärmung fortsetzt wird das ökologische Gleichgewicht der Meere zerstört | Die Folgen wären dramatisch, warnt der Meeresbiologe Gerhard Heindl im FURCHE-Interview.

Gerhard Herndl ist Meeresbiologe mit Spezialgebiet Mikrobiologie. Vor zwei Wochen wurde er dem Wittgenstein-Preis, der höchsten österreichischen Wissenschaftsauszeichnung, geehrt.

Die Furche: Der Klimawandel verursacht Störungen des marinen Lebens. Wissenschafter haben bei einer Konferenz in Oxford vor einer Katastrophe gewarnt. Die Weltmeere und damit die Nahrungsgrundlage für Millionen Menschen seien gefährdet. Sehen Sie die Lage ähnlich dramatisch?

Gerhard Herndl: Die Erderwärmung und ihre Folgen sind denke ich unumstrittene Realität. Es ist kein Zufall, dass etwa in den Niederlanden mit Milliarden Eurosummen die Deiche um einen Meter erhöht werden wegen des steigenden Meeresspiegels. Auch die fundamentale Überfischung der Weltmeere ist Tatsache. Während sich die Lage im Atlantik aufgrund spezieller Fischereiverbots-Zonen etwas entspannt, weichen die Fischereiflotten aus und fischen etwa vor der Küste Westafrikas. Dort nehmen sie lokalen Fischern die Existenzgrundlage.

Die Furche: Eine der spürbaren Folgen daraus ist, dass die Fischer mit ihren Booten das Gewerbe wechseln und nun Flüchtlinge transportieren, die nach Europa wollen.

Herndl: Es ist ein absurder Kreislauf der sich da entwickelt.

Die Furche: Gäbe es denn alternative Ansätze, um der globalen Überfischung entgegenzuwirken?

Herndl: Wir kennen ja die Bestrebungen Fische in Aquakulturen zu ziehen. Aber das hat auch seine Grenzen. Nehmen Sie die Lachszucht in Norwegen: Dort muss man zunächst tierisches Eiweis verfüttern, damit die Fische wachsen. Dazu noch muss man sie impfen. Das wird mit Ultraschall gemacht. Der Impfstoff wird ins Wasser gemischt und die Haut der Fische mit Ultraschallsonden durchlässig gemacht, damit der Impfstoff eindringen kann. Das sind also massive Eingriffe. Aber die betreffen nicht nur die Produktion selbst, sondern auch das Umfeld. In der Nähe von Muschelzuchten gibt es durch die Kotabgabe der Muscheln anoxische Gebiete am Grund des Meeres. Mikroorganismen bauen den Kot ab, verbrauchen dabei den Sauerstoff im Wasser und die Tiere, die am oder im Boden leben, sterben ab.

Die Furche: Tatsächlich stellen Wissenschafter eine Ausbreitung von sauerstofffreien Zonen fest.

Herndl: Das betrifft vor allem die kontinentalen Küstengebiete, die teilweise große Probleme haben. Dort kommt es vermehrt zu Düngemitteleintrag ins Meer, was zu einer explosionsartigen Vermehrung von Algen führt. Irgendwann sterben diese Organismen dann ab und sinken auf den Meeresboden, wo Sauerstoff verbrauchende Mikororganismen mit dem Abbau beginnen. Der Effekt ist ähnlich wie bei den Muschelkulturen, nur viel großflächiger, es kommt zu sogenannten Dead Zones. Es gibt Berechnungen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts 20 Prozent des Sauerstoffs in den Ozeanen verloren gehen. Das sind zwar Modellrechnungen, aber sie sind durchaus begründet.

Die Furche: Könnte man tote Zonen wiederbeleben und wie lange würde das dauern?

Herndl: Die lokalen, küstennahen toten Zonen könnten relativ leicht wiederbelebt werden, indem man den Nährstoffeintrag reduziert. Nach einigen Jahren haben sich diese Regionen dann erholt. Aber die Versauerung der Ozeane durch den CO2-Anstieg beginnt jetzt schon nachhaltige Veränderungen der Nahrungsketten zu zeigen. Mit der Erwärmung des Ozeans werden gewisse Planktonarten in ihrem Vorkommen weiter nach Norden gedrängt. Arten, die bisher eher in subtropischen Regionen zu finden waren, wandern nach. Damit haben Fische, die auf eine spezielle Planktonart angewiesen sind, keine Nahrungsgrundlage mehr, die Nahrungskette ist damit gerissen. Man müsste also am Grund ansetzen und den CO2-Ausstoß verringern, um das Problem zu lösen.

Die Furche: Wie das schon seit Jahren vom Weltklimabeirat gefordert wird. Mit geringer werdendem Erfolg.

Herndl: Wir stehen vor einem sich beschleunigenden Prozess. Jene Werte, die der Weltklimabericht in einer gewissen Bandbreite angegeben hatte, tendieren derzeit immer zu den Maximalschätzungen, anders gesagt zu den Worst-Case-Szenarios, was die Geschwindigkeit des Prozesses angeht. Etwa, was die Abschmelzung der Polkappen oder den Meeresspiegelanstieg betrifft. Die Veränderung kommt rasch.

Die Furche: Eine Aussicht auf eine Trendumkehr gibt es nicht?

Herndl: Ich sehe diese Umkehr nicht. Zuerst kommt das Wirtschaftswachstum und erst weit dahinter der Gedanke an den Umweltschutz. Gesamt gesehen greift zum ersten Mal in der Erdgeschichte eine Spezies, nämlich der Mensch, so massiv in den Naturkreislauf ein, dass er das Klima ändert. Paul Crutzen hat unsere Epoche deshalb als "Anthropozän“ bezeichnet. An dieser Sichtweise ist schon etwas dran.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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