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Auf Österreichs heiliger Strafte

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DIESE STRASSE BENANNTE nicht nationalistischer Ueberschwang so, wie den Weg von Paris nach Verdun im ersten Weltkriege, als eine Straße die einzige Verbindung zu einer dreifach umfaßten Festung darstellte. Die „heilige Straße“ ist nicht von Siegesdenkmälern besäumt. Sie ist ein Weg des Friedens, ein Weg der Völkerversöhnung. Auf ihr zogen der Przemyšlide Wladislaw Heinrich, der vor mehr als 700 Jahren starb, ritten der Erbe der Arpaden, Ludwig der Große, Albrecht II. und sein Sohn Rudolf der Stifter, Friedrich V. und sein Sohn Maximilian I. und viele andere Fürsten und Herren. Und Demütige, von denen kein Buch kündet.

MARIA-ENZERSDORF, heute als ein Teil von Wien empfunden, heißt die erste Station des Pilgerweges. Enzersdorf, neben den Marienheiligtümern von Lanzendorf und Mariabrunn ein Ort, der den Wienern immer besonders nahestand. Franz von Ghelen, ein Sohn des Herausgebers der „Wiener Zeitung“ von 1707, brachte 1723 eine Abbildung der Mariazeller Gnadenmutter von einer Wallfahrt heim in seine Hauskapelle, der Kardinal Sigismund Graf Kollonitz gab diesem Bild den Namen „Heil der Kranken“, und von da an bildete Maria- Enzersdorf den Anfang der „heiligen Straße“. In diesem Orte, den Wiener Ausflüglern ebenso geläufig wie jenen, die nicht allzu weit von der Hauptstadt ihre Sommerfrische suchen, lohnt es sich, den sogenannten „Friedhof der Romantiker" aufzusuchen. Freilich, man wird die Ruhestätten eines Albert Nikolaus von Dieß- bach, einem Vorläufer des heiligen Klemens, ebenso vergeblich suchen wie die des einstigen Patronatsherrn der Pfarre, des Barons Penckler. Sie waren in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Mittelpunkte des ersten Wiener Romantikerkreises. Aber um das frühere Grab des heiligen Klemens (der jetzt in der Kirche Maria am Gestade ruht) sind dessen Gefolgsleute noch versammelt; Adam Heinrich Müller, der bedeutende Soziologe; Zacharias Werner,

der Dichter; August von Klinkowstroem; Franz Buchholtz; Sebastian Brunner, der berühmte Publizist, grimmiger Streiter mit spitzig-gewandter Feder.

WENN VON DER ROMANTIK geredet werden soll, dann darf' der Name Mödling kaum fehlen. Diese Stadt, so oft von Künstlern des Pinsels erfaßt, von Dichterh besungen, und das romantische Waldtal der Brühl, dessen Liebreiz gleicherweise Beethoven und Schubert fesselte, liegen gleich anschließend an Maria-Enzersdorf, Mödling ist heute von den Freunden der Dichtung ein noch immer regelmäßig besuchter Ort: im Wildgans-Haus in der Andergasse, im Schatten der Pfarrkirche von St. Othmar, die an den zweiten Stifter von St. Gallen erinnert, finden sich Menschen bei Musik und Versen wie auf einer friedvollen, weit der lauten Welt entrückten Insel zusammen. Hinter der Brühl öffnet sich dann der Kessel von Gaaden. Wie so viele Ortschaften im Wienerwald verdankt auch diese Siedlung ihren Namen und ihr Dasein einem Adelsgeschlecht, den Herren von Gaaden. Der Pfarrhof war ehemals das Schloß. Hinter Gaaden begegnen wir den ersten Weisem Mariazells. Auf einem Oelberghügel betet Christus, zu seinen Füßen ruhen die Jünger. Die Straße zieht durch hochstämmigen Wald nach Heiligenkreuz, der alten Zisterzienserstiftung.

HEILIGENKREUZ ist die zweite Station der Straße. Den Ruhm dieser Kunst- und Kultur-

Stätte besonders zu verkünden, ist wohl überflüssig. Seien wir uns aber dessen eingedenk, daß Heiligenkreuz die Grabstätte der Babenberger ist. Im Kapitelsaal des Kreuzganges, wo die jungen Novizen eingekleidet werden, ruhen neun Babenberger: drei Söhne des heiligen Leopold und seiner Gemahlin Agnes, nämlich Adalbert, Ernst der Schöne, Leopold IV., der Freigebige, und sechs weitere Nachkommen, darunter Leopold V., der Tugendhafte, und Friedrich II., der Streitbare, mit dem das Geschlecht erlosch. Von Heiligenkreuz aus, das wird auch mitunter vergessen, wurden die Tochterstifte von Zwettl, Baumgartenberg, Lilienfeld, Neuberg an der Mürz, ferner Czika- dor bei Fünfkirchen in Ungarn, Marienberg bei Güns und Goldenkron bei Krumau gegründet. Die Kunstfreunde sind sich nicht einig, ob dtfr Kreuzgang von Heiligenkreuz oder der von Zwettl der schönere ist. Wozu der Streit! Seien wir froh, diese europäischen Sehenswürdigkeiten in einem Lande, noch dazu in einem Bundeslande, zu haben! Die Gegend rund um Heiligenkreuz hat ihre „Sommerstammplätze“ für die Wiener, und darin hat sie auch Tradition. Schrieb doch drüben in Gaaden, wo man jetzt eine nette Gedenkstätte einrichtete, Ferdinand Raimund seinen „’Verschwender" und verbrachte Therese Krones, die Bekannte Raimunds und die erste Darstellerin der „Jugend" im Volksstücke „Der Bauer als Millionär“; viele Sommer in Sparbach. Auch hier hat die niederösterreichische Landesregierung mit einer neuen Gedenktafel den Wanderer darauf hingewiesen. Sparbach selbst ist ja geradezu ein Malerwinkel und in den letzten Jahren weilte der Maler-Radierer Michalek, dessen Großbild „Wien, vom Kahlenberg aus gesehen“ im Besitze der Stadt ist, oft in diesem idyllischen Winkel und ist auch dort begraben worden.

BADEN, die Kurstadt, Baden, die Stätte gewerblichen Fleißes, Baden, die Stadt der Musik und der Kunst, liegt sozusagen in Reichweite der Wanderer, die auf der Straße nach Mariazell durch Heiligenkreuz kommen. Viele ziehen es auch vor, geradewegs durch das romantische ' Helenental nach Gaaden zu fahren. Was der Stadt, die durch die Kriegs- und NachkriegS- ereignisse schwer litt, die sich aber in überraschend schneller Zeit erholte, heute ihr Gepräge gibt, ist der Kurbetrieb — Baden gilt als Rheumaheilstätte ersten Ranges —, ist das schöne Strandbad, ist die heimelige Stille zwischen den Vorgärten der alten Biedermeierhäuser und dem prächtig hergerichteten Kurpark. Baden ist durch seine Nähe zu Wien und die Möglichkeit, einen lohnenden Nachmittag voll auszunützen, schon seit jeher ein Anziehungspunkt für die nahe Großstadt gewesen. Neuerdings sind Bestrebungen im Gange, dem Kulturleben neue Anregungen zu geben. Das Theater war vor kurzem Zeuge des ersten Auftretens des Freien ungarischen Balletts, und ebenfalls vor einigen Tagen ist die große Niederösterreichische Landeskunstausstellung im Kurhaus Baden eröffnet worden. Damit wird dokumentiert, daß Niederösterreich, dem eine eigentliche Hauptstadt fehlt, in Baden einen maßgeblichen Mittelpunkt erblickt.

DIE STRASSE STEIGT AN. Bei dem alten Schutzengelkreuz, gestiftet 1720, zweigt der Weg nach Mayerling ab. Dann kommt Alland in Sicht, ähnlich Gaaden in einem breiten Kessel gelegen und gleich diesem Orte den Namen von einem Herrengeschlechte herschreibend. Hier, in diesem weltfernen Orte, gebar Gertrud, die Tochter Heinrichs II. von Mödling, eine Gemahlin Hermanns von Baden, ihren Sohn Friedrich, jenen Friedrich, welcher der letzte Gefährte Konradins von Hohenstaufen war und mit diesem 1268 in Neapel auf dem Schafott endete. Die byzantinische Muttergottes auf dem Brückenplatz von Alland mag daran erinnern, daß die Romanowiczen aus dem Blute der heiligen Olga, die 969 starb, und ihres Enkels, des heiligen Wladimir von Kiew, ihr Recht auf Galizien und Lodomerien ableiteten und als Glied in den Kronreifen der österreichischen Erblande einfügten. Ansonst ist Alland bekannt durch seine Lungenheilstätte, die weit seitab des Ortes liegt und des Abends, wenn seine Fenster beleuchtet sind, einen seltsamen Eindruck- macht. Die Straße steigt weiter an, gewinnt einen kleinen Paß und führt nach Grois- bach, wo sich die „schwarze Muttergottes von Groisbach“ befindet, und nach Nöstach. Man muß genau links und rechts sehen, und immer wieder gewahrt der Wanderer rührende Zeichen der Volksfrömmigkeit, die „Marterln". Es ist, als wollten die Errichter ihre Bitten noch den Wallfahrern nach Mariazell auf den Weg geben.

Wohl mögen die Erbauer oft schon nicht mehr unter den Lebenden weilen, aber ist es nicht in der Waldeinsamkeit ein tröstliches Symbol, wie der Glaube in seinen Zeichen über die Zeit hinaus lebt? Die Herren von Nöstach, die Schwarzenburger, gelten als die Gründer des Benediktinerstiftes Mariazell im Wiener- wäld, gewöhnlich „Klein-Mariazell“ genannt. Zur linken Hand, auf den Höhen bei Raisen- markt, werden die Ruinen von Arnstein sichtbar. Die Arnsteiner waren einst ein hochgeachtetes Landesgeschlecht.

HAFNERBERG mit der Wallfahrtskirche liegt auf einem der schönsten Plätze an der Pilgerstraße zwischen dem Peilstein und dem Hocheck; zu Füßen der Ruine Vestenberg, am Sattel, den man überschreiten muß, wenn man ins Triestingtal hinunter will. Maria-Hafnerberg ist eine Gründung der Wiener Wallfahrer, eine kleine Kapelle stand bereits anfangs des 18. Jahrhunderts, später hat dann Abt Leeb voa;Heiügankreuzden Grundstein zur jetzigen., Kirche- -gfekgt. Ehr Deckengemälde des Tiroler Malers Joseph Ignaz Mildorf er, der auch für Mariazell und Dornau gearbeitet hat, kann, mit einigem Abstand freilich, neben den Werken der großen österreichischen Barockmaler Rottmayr und Gran genannt werden. Mildorfer hat unseren Augen eine ganze Weltgeschichte in Testamenten entrollt. An. einem der Angelpunkte des Werkes ist symbolisiert die „Frömmigkeit des Hauses Oesterreich“, eine Frau mit dem Kreuz als Szepter, zu ihren Füßen die Kronen der österreichischen Lande mit dem habsburgischen Hauswappen. Das Kreuz als Szepter — und nicht irgendein mythologischer Held mit dem Schwertel Das ist Maria-Hafnerberg, die dritte Station nach Zell.

KLEIN-MARIAZELL, die vierte Station, ist in weiten Kreisen leider viel Zuwenig bekannt. Leicht gelangt man vom Triestingtal her und von Altenmarkt in diesen traulichen Winkel. Das Benediktinerstift Klein-Mariazell war neben dem Augustiner Chorherrenstift Klosterneuburg und der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz die dritte Klostergründung des heiligen Leopold. Besondere Vorliebe für diesen Ort hatte Leopold I., der dreimal hier weilte und gesagt haben soll: „Hier ist der rechte Ort, Gott zu dienen.“ Uebrigens ist diese Gründung älter als der bekannte Gnadenort Mariazell und man sollte eigentlich, wenn man schon nicht „Mariazell im Wienerwald“ sagen will, eher „Alt-Mariazell“ schreiben.

DORNAU, wenn wir von den grünen Höhen hinabgestiegen sind ins Triestingtal. ist die fünfte Station des Pilgerweges nach Mariazell, ebenfalls eine Wallfahrergründung. Der Name kommt von einem Bilde des Schmerzensmannes, den Offiziere und Mannschaften der Wiener Stadtguardia aufgestellt hatten als Sühne für die Sünden ihres Standes und dafür, weil Kriegsleute den dörnengekrönten Heiland verspottet haben. Weiter im Triestingtal, der wichtigen Verkehrslinie und Verbindung von der Südbahnstrecke zur Westbahn, noch im letzten Krieg Schauplatz erbitterter Kämpfe, die oft von manchen Siedlungen nur ein Drittel übrigließen. Aber unermüdlich sind die Bewohner dieses schönen, von Ausflüglern und Sommerfrischlern so gern besuchten Tales an die Wiederaufbauarbeit gegangen. Oben, auf luftiger Höhe, grüßt die Araburg. Es hat eine Zeit gegeben, da man, der Einfachheit halber, die Steine der Araburg als Baumaterial verwendete. Die ansehnliche Kirche von Kaumberg steht auf einer beherrschenden Höhe. Wie andere Orte des Triestingtales und im Tale der Gölsen, war auch Kaumberg eine Zeit hindurch protestantisch. Die Klöster von Mariazell und Lilienfeld gewannen dann das Volk für den rechten Glauben wieder zurück. Bei Kaumberg steigt die Straße an, auch die eingeleisige Bahn hat bis Gerichtsberg Steigung zu überwunden. Man gelangt über die Wasserscheide des Gerichtsberges vom Triestingtal ins Gölsental. Hier, wie am Anfänge des Triestingtales, überall Zeichen der Industrie: ob es Hainfeld ist, wo einstens Kunstschmiede, Meister ihres Faches, am Werk waren, ehe die Maschinen kamen, oder ob weiterhin in Traisen. Der Hauptort dieses Gebietes ist die beliebte Sommerfrische St. Veit an der Gölsen, das sich neuerdings sehr um den Fremdenverkehr bewirbt und gute Aussichten hat, einen Platz in den Prospekten zu bekommen, die in der Großstadt die lufthungrigen, vom Lärm ge-

plagten Menschen auf neue, weniger bekannte Orte in Niederösterreich hinweisen.

DIE TRAISEN ENTLANG, kommen wir auf der Straße nach Lilienfeld, der sechsten Station auf dem Wege nach Mariazell. Mit seiner wundervollen Lage fügt sich der Ort ebenso eben-

mäßig in die Landschaft ein wie Heiligenkreuz. Lilienfeld verdankt sein Bestehen den Heuen von Lilienfeld, die hier auf ihren Gütern eine St.-Thomas-Kapelle stifteten; das Geschlecht selber aber trägt seinen Namen von den Schneerosen. Auch Lilienfeld ist eine Klostergründung der Babenberger, es hieß zuerst Unsere Liebe Frau im Waldtal (gleich dem Or.tp), Leopold VI.,. der Glorreiche, der Vater Friedrich des Streitbaren, rief das Kloster im Winter 1200 ins Leben, und hier in Lilienfeld ist der sechste Leopold begraben. In der Inschrift des Sarkophags nennen ihn die Mönche ihren besten Vater, sich selbst seine dankbaren Söhne. Heiligenkreuz und Lilienfeld sind Zeugen leopoldinischer Klugheit, als deren Erben es den Habsburgern Rudolf und Albrecht leicht fiel, mit den Päpsten Gregor X. und Boni- faz VIII. zu einer Konkordanz zu kommen. Heiligenkreuz war mehr nach Ungarn gewendet. Lilienfeld blickte nach Böhmen. Die böhmische Zisterzienserprovinz wurde von Lilienfeld ausgebaut. In die Literaturgeschichte ist der Abt von Lilienfeld, später Patriarch von Venedig und Erzbischof von Felsö-Oer, eingegangen:

Johann Ladislaus Pyrker. Er ruht auf dem Friedhof von Lilienfeld.

TÜRNITZ. SIEBENBRUNN, ANNABERG heißen die weiteren Markpunkte der Straße. Besonders Annaberg hat viele Freunde. Vom Bergsattel oben erblicken wir den hochragenden Oetscher, der mit seinen 1892 Metern Höhe bis weit ins Frühjahr hinein in einen weißglitzcrn- den Schneemantel gehüllt ist. Das Kirchlein von Joachimsberg ist die zehnte Station, und dann kommt die vorletzte, Josefsberg, der höchste Ort Niederösterreichs. Die Straße senkt sich nach Mitterbach, der zwölften Station. Hier sind wir schon im Einzugsbereich der Alpenbahn und den Gnadenort wird der Pilger noch am gleichen Tage erblicken, da er in Mitterbach weilt.

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