Erklär mir deine Welt
DISKURSBrief #59: Der Fortschritt überrollt viele von uns
In der Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um digitale Überforderung - und eine sinnstiftende Beschäftigung für die Jungen.
In der Kolumne "Erklär mir deine Welt" kommen Hubert Gaisbauer und Johanna Hirzberger miteinander ins Gespräch. Diese Woche geht es um digitale Überforderung - und eine sinnstiftende Beschäftigung für die Jungen.
Liebe Frau Hirzberger!
Bei Ihrer Erzählung von den Odysseen Ihrer Mobiltelefone fällt mir das Märchen vom „Standhaften Zinnsoldaten“ von Hans Christian Andersen ein. Können Sie sich erinnern? Nach vielen Abenteuern schmilzt der Soldat dahin, weil er von einem Knaben mutwillig ins Feuer geworfen wurde. Dem stehen Ihre Schilderungen nicht sehr viel nach; ich meine, was die Abenteuerlichkeit betrifft. Geben Sie acht bei offenem Feuer: Explosionsgefahr!
Sie schreiben von drohenden Entzugserscheinungen bei Handyverlust. Ich hingegen hege Sympathie für den schlimmen Knaben und wünsche mir klammheimlich, dass mein Handy eines Tages – wie weiland der Zinnsoldat – schmilzt, wenn ich es etwa – nichtachtend des sich verändernden Sonnenstandes – auf der Gartenbank liegen gelassen habe. Stumm geschaltet natürlich. Ja, ich kenne viele Erwachsene, die meisten sogar jünger als ich, die mit dem Mobiltelefon nicht auf bestem Fuße stehen. So wie der Zinnsoldat, der ja auch nur ein Bein hatte. Wehe, wenn das mühsam eingelernte Prozedere durch ein mutwilliges Update aus der einmal eingeprägten Ordnung gebracht wird! Natürlich entfährt auch mir oft der erlösende Seufzer: Was täten wir jetzt, wenn es kein Handy gäbe! Ich möchte trotzdem nicht von Segen sprechen, denn allzu oft kann es zum Fluch werden. Moralisiernd? Ja, und wenn schon. Dann diese Fotografiersucht! Entsetzlich! Da halte ich es – wieder einmal – mit dem geliebten Thomas Bernhard, der in seinem letzten Roman „Die Auslöschung“ geschrieben hat: „Ich habe noch auf keiner Fotografie einen natürlichen und das heißt, einen wahren und wirklichen Menschen gesehen, wie ich noch auf keiner Fotografie eine wahre und wirkliche Natur gesehen habe.
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