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Um ein demokratisches Agrarrecht

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Seit mehreren Jahren wurde in der Schweiz, in eingehender Diskussion, vor einer breiten öffentlidikeit, bei der sich vor allem der Bauernverband und neben anderen Körperschaften auch insbesondere die Juristen auf ihren jüngsten Tagungen beteiligten, an dem umfassenden Gesetzeswerk gearbeitet, das an Stelle der zahlreichen kriegsbedingten Verordnungen eime Dauerlösung zum Schutz und zur Förderung der heimischen Landwirtschaft setzt.

Als erster Teil ist nur eben der Entwurf eines Gesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes von der Regierung dem Parlament vorgelegt worden. Die vielbeachtete Botschaft, die diesen Entwurf begleitet, gibt eine sehr lesenswerte Übersicht auch der neuesten ausländischen Agrargesetzgebung, wie es überhaupt mit zum Interessantesten gehörte, im Verlauf der vorbereitenden Arbeiten zu erfahren, was berufene Vertreter des Bauerntums und der Volkswirtschaft in ihren oft bemerkenswerten und weitreichenden Verhandlungen über die Grundsätze einer demokratischen Agrarpolitik und auch über ausländische Entwicklungen zu sagen hatten.

Zur Erörterung standen zunächst auch in der Schweiz verschiedene, aus der Tendenz „das Land dem Bauern“ erwachsene Vorschläge, die letzten Endes den Grunderwerb berufsmäßigen Landwirten Vorbehalten hätten. Aufschlußreiche Diskussionen entkleideten zunächst dieses Schlagwort seines politisch-sentimentalen Charakters, wobei vorausschauend festgestellt wurde, daß eine solche Klassenlösung, folgerichtig auch auf den Erbfall angewendet, schließlich zur Enteignung alles nicht bäuerlichen Besitzes im Sinne totalitärer Doktrinen führen müßte. Auf diesem Punkt angelangt, wurde die Diskussion zur Frage nach der Vereinbarkeit eines Sonderrechtes für den „Landwirt im Hauptberuf“ mit den Grundsätzen der Schweizer Eidgenossenschaft, somit zu einer Alternative, Totalität oder Demokratie. Die Frage so zu stellen, hieß sie auch beantworten und in bemerkenswerter Einheitlichkeit lehnte die Schweizer Bauernschaft selbst derartige Vorschläge ab: nicht nur aus allgemeinen politischen Erwägungen heraus, sondern aucii aus Besorgnis gegenüber Eigentumsbeschränkungen, mit welchen letzten Endes der Bauer selbst seine priviligierte Stellung hätte bezahlen müssen. So konnte denn auch der damalige Bundespräsident von Steiger in seinem Referat auf der Delegiertenversammlung des schweizerischen Bauernverbandes bereits, im November 1945 feststellen: „Der Schweizer Bauer ist ein leidenschaftlicher Anhänger der Freiheit und er will von einem Standesrecht nichts wisse n.“ Diese Einsicht der Mehrheit einer politisch geschulten, von verantwortlichen Männern beratenen Bauernschaft, eröffnete den Weg einer fortschrittlichen Lösung für die denn auch das gesamte Schweizervolk das nötige Verständnis zeigt.

Absicht des Gesetzgebers ist zunächst, das landwirtschaftliche Areal nach Möglichkeit seinem Zweck zu erhalten. "Das soll unter anderem dadurch erreicht werden, daß bei Verkauf zunächst das Zugrecht, ein Vorkaufsrecht d er nahestehenden Personen und in zweiter I.inie auch langjähriger Pächter, festgelegt wird. Ob darüber hinaus eine weitere Einschränkung in der Freiheit des Verkehrs mit landwirtschaftlichen Grundstücken wünschenswert sei, war eine viel debattierte Frage. Auf der einen Seite standen die Vertreter der Genehmigungspflicht, während verschiedene Stimmen, teils auch aus der Bauernschaft, an deren Stelle ein erweitertes Vorkaufsrecht empfahlen. Gegen die Genehmigungspflicht wurden starke Bedenken geltend gemacht, „zum Teil witterte man darin auch die Übernahme fremden Gedankengutes“, vermerkt vielsagend die Botschaft des Bundesrates; im Verlauf mancher Diskussionen sind ja auch die deutschen Grundstück verkehr-Bekanntmachungen 1918 bis 1937 und das nationalsozialistische Erbhofrecht eingehend auf ihren tatsächlichen Wert für die Landwirtschaft hin überprüft und abgelehnt worden. Der vorliegende Entwurf geht einen mittleren Weg: Verzicht, die Genehmigungspflicht im Bundesgesetz festzulegen, aber Möglichkeit für die Kantone, eine solche einzuführen aus der Erwägung her-, aus, daß die Schutzbedürftigkeit nach Kantonen verschieden sein kann. Von Bundes wegen soll also in das Privatrecht nicht weiter als unbedingt notwendig eingegriffen werden können. Der Vorschlag begegnet jedoch auch in dieser abgeschwächten Form starken Widerständen, die vor allem bemängeln, daß Weder Genehmigungs- noch Verweigerungsgründe gesetzlich festgelegt seien;, interessant wird es nun sein, zu sehen, inwiefern jene Stimmen recht behalten werden, die zwar dem Entwurf im allgemeinen bei der bevorstehenden parlamentarischen Beratung die besten Aussichten Voraussagen, jedoch als Ergebnis der Verhandlungen eine Abänderung gerade dieser Bestimmung erwarten, die in manchen Gegenden zu einem „konfessionellen Artikel“ werden könnte.

Das Vorkaufsrecht des. Pächters ist die andere Bestimmung des Ent wurfes, die, wenn auch in geringerem Maß, kritisiert wird, da sie in ihrer jetzigen Form auch auf zahlreiche Pachtgüter Anwendung fände, die sich nicht zu einem Bauernheimwesen eignen, wie etwa Landsitze oder Musterwirtschaften. In diesem Zusammenhang taucht ein Vorschlag auf, dem Pächter, der einen Hof eine bestimmte Zeit bewirtschaftet hat, statt eines Vorkaufsrechtes eine Sonderprämie auszuzahlen, die sich nach Größe des bewirtsdiafteten Objekts und der Pachtdauer richten und ihm den Erwerb eines anderen, passenden landwirtschaftlichen Heimwesens erleichtern soll. Daß auch das Vorkaufsrecht anderer Berechtigter in der Praxis ungezählte Fragen aufwerfen wird, die einer sehr geschickten juristischen Abklärung bedürfen werden, damit sich dieser an sich allgemein als durchaus berechtigt empfundener Grundsatz nicht zu einem erstklassigen Verkehrshindernis entwickelt, wird auch nicht übersehen.

Der Frage des P a c h t e s seihst wendet der Entwurf große Aufmerksamkeit zu. Die Botschaft stellt dazu zunächst fest, daß, wenn das normale Verhältnis von Eigentum zu Pacht allgemein mit 6 :1 angenommen werden kann, in der Schweiz, wo

23 Prozent der bewirtschafteten Bodenfläche Pachtland ist, sich die Relation bereits zugunsten des Pachte verschoben habe. Bei dieser Lage bestand die Gefahr, daß das Schlagwort „das Land dem Bauern" auch hier zu extremen Vorschlägen hätte führen können. Manche stellten denn auch bereits fest, daß neuerdings mit Kapitalinvestitionen in Pachtgütern zurückgehalten werde, und man sprach auch davon, wie die Unsicherheit wegen des kommenden Agrarrechts nicht nur diese schädliche Folge zeige, sondern auch sonst das gute Einvernehmen zwischen Päditer und Verpächter überschätze. Demgegenüber wirkte bereits der Gang der Diskussionen beruhigend, indem von verschiedensten Seiten immer wieder die Bedeutung des Pachts für eine fortschrittliche Landwirtschaft hervorgehoben und gegenüber anderen Tendenzen stets betont wurde, daß der Pacht keineswegs verschwinden dürfe und scharfe Eingriffe des Gesetzgebers zwecks Überführung von Pachtgütern in Eigentum zu vei urteilen seien. Denn eine solche Politik' müsse zu einer Erweiterung der Kluft zwischen Stadt und Land, somit letzten Endes zu einer Verschärfung der Gegensätze zwischen Konsumenten und Produzenten führen. Der Entwurf fußt demnach auf dem Bundesratsbeschluß von 1946, der das freie Kündigungsrecht der Parteien im Pachtvertrag nach den Bestimmungen des Obligationenrechts wiederhergestellt hatte, und die Botschaft stellt hiezu ausdrücklich fest, daß eine allgemeine Beschränkung des Kündigungsrechts dem Schweizer System und Rechtsbegriff zuwiderlaufen würde. Was die minimale Paditdauer betrifft, sieht der Entwurf jedoch eine gemäßigte Einschränkung der Vertragsfreiheit vor: eine dreijährige Dauer soll gesetzlich festgelegt werden, doch kann die Behörde eine kürzere Dauer aus wichtigen Gründen bewilligen, ebenso wie vorgesehen ist, daß £e Kantone die Festsetzung der Pachtdauer für einzelne Parzellen überhaupt den Parteien überlassen können. Schließlich wird der bisherige Grundsatz, Kauf bricht Pacht, durch das Gegenteil ersetzt, außer der Käufer hat das Land zu Selbstbewirtschaftung erworben.

Von den scharfen Eingriffen der Kriegszeit in das Pachtrecht scheint somit nicht viel übrig geblieben zu sein. Zu dieser Entwicklung hat wohl auch die in der Botschaft festgelegte Tatsache beigetragen, daß es falsch sei, zu glauben, der Verpächter sei stets der wirtschaftlich stärkere Teil; umgekehrt seien oft gerade alte und kranke Eigentümer auf einen Pächter angewiesen.

Von anderen bemerkenswerten Neuerungen des Entwurfes seien die strengen Bestimmungen zwecks Kontrolle der gewerbsmäßigen Liegenschaftsvermittlung sowie die ausführlichen Schutzbestimmungen gegen unwirtschaftliche Zwangsverwertung im Wege des Ausgleiches, der Stundung und der Betriebsaufsicht hervorgehoben.

Mehrmals sind die Anfänge des schweizerischen Bodenrechts der europäischen Ge- samentwicklung vorausgeeilt; so seinerzeit im Zivilgesetzbuch und audi im bäuerlichen Erbrecht, wo ein Ausgleich zwischen den widerstrebenden Grundsätzen der gleichberechtigten Erben und der ' geschlossenen Hofübernahme gelang. Wieder ist jetzt in der Schweiz um einen Ausgleich von Interessen gerungen worden. Wie man sieht, mit guter Aussidit auf eine vorteilhafte mittlerc Lösung, die auch über die Landesgrenzen hinaus wichtige Hinweise gibt. Aus manchen Gesichtspunkten heraus wird es sich darum empfeiilen, in dem vorliegenden Entwurf zu blättern und die bevorstehende letzte Etappe aufmerksam zu beobachten, denn hier sehen wir das umfassendste Agrar gesetz der Nachkriegszeit entstehen, geschaffen in Kenntnis der neuen Formen der Weltwirtschaft, denen sich Europa gegenüberstellt, entworfen zwecks Förderung einer heimischen Landwirtschaft, und dies tunlichst mit und nicht gegen die übrigen Teile des Volkes.

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