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Tutsi gegen Hutu

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Seit Ende April haben-Unruhen in der zentralafrikanischen Republik Burundi ein Blutbad furchtbaren Ausmaßes angerichtet. Der staatliche burundische Rundfunksender „Stimme der Revolution“ gab die Zahl der bisherigen Todesopfer mit 50.000 an, doch meinen Augenzeugen, daß die Anzahl der Toten weit höher liege. *

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Seit Ende April haben-Unruhen in der zentralafrikanischen Republik Burundi ein Blutbad furchtbaren Ausmaßes angerichtet. Der staatliche burundische Rundfunksender „Stimme der Revolution“ gab die Zahl der bisherigen Todesopfer mit 50.000 an, doch meinen Augenzeugen, daß die Anzahl der Toten weit höher liege. *

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Der Aufstand war offensichtlich gut organisiert. Nach Aussage der Regierung des Obersten Micombero soll er ein Werk von sogenannten „Mulelisten“ gewesen sein, das heißt: ehemaliger Gefolgsleute des kongolesischen Rebellenführers

Pierre Mulele, die sich noch heute in den schwer zugänglichen Gebirgsge-gegenden am nördlichen Tangan-jika-See versteckt halten. In Kinshasa wird behauptet, daß die „Mulelisten“ über Restbestände von Waffen aus der Zeit der großen Rebellion im damaligen Kongo verfügten, später jedoch aus Tansania aus chinesischen Quellen mit militärischer Ausrüstung versorgt worden seien. Daß diese „Mulelisten“ Verbindung mit Hutu-Gruppen im südlichen Burundi unterhalten, ist bekannt, ebenso, daß sie im nördlichen Tansania geduldet werden.

Dieser Aufstand der Hutu gegen die herrschende Tutsi-Oberschicht — nicht der erste in der Geschichte Burundis — wurde von der Armee nach blutigen Verlusten, auf allen Seiten, sehr bald niedergeschlagen. Sobald die von Tutsi-Offizieren geführte Truppe wieder Herr der Lage war, holte sie zum Gegenschlag aus und macht seither gnadenlos Jagd auf die Hutu. Diese Menschenjagd, an der sich auch Zivilisten aus der Tutsi-Oberschicht beteiligen, trägt alle Merkmale eines unbarmherzigen Rassenkrieges und wird mit stillschweigender Duldung der Regierung durchgeführt.

Die Vergeltungsmaßnahmen richten sich vor allem gegen die „Intellektuellen“, wobei dieser Begriff sehr weitherzig ausgelegt wird und alle des Lesens und Schreibens kundigen Hutu umfaßt. Die Grausamkeit und Vollkommenheit dieser Vergeltungsaktionen ließ dieser

Tage den belgischen Premierminister Eyskens von einem Völkermord in Burundi sprechen.

Der Aufstand in Burundi beweist, daß sich dieses Land noch immer nicht von seiner Vergangenheit gelöst hat. Die Geschichte des Zwergstaates zwischen den Republiken Zaire und Tansanien enthält zahlreiche Elemente eines Shakespeare-Dramas. Sie ist reich an Kamarillen, Intrigen und obskuren Machtkämpfen. Perioden relativer Ruhe waren eher die Ausnahme. Die Bevölkerung der ehemals zu Deutsch-Ostafrika gehörenden und später unter belgischer Mandatsverwaltung stehenden heutigen Republik Burundi ist in zwei ethnische

Gruppen gegliedert: Die hochgewachsenen, schlanken, viehzüchtenden Tutsi (15 Prozent der Gesamtbevölkerung) bildeten seit Jahrhunderten die Aristokratie und beherrschten das ackerbauende Bantuvolk der Hutu. Die Macht lag stets in den Händen der Tutsi-Minorität, die bis zur Ankunft der Europäer eine i Staatsforrn eingerichtet hatte, die am ehesten einer feudalen Theokratie ähnelte.

Seit dem zweiten Weltkrieg rührten sich die großen Massen der Hutu. Doch in Burundi fiel die Königsherrschaft erst nach einem langsamen Erosionsprozeß in sich zusammen, ohne daß damit der Tag einer Befreiung für die Hutu gekommen wäre. An die Stelle der theokra-tischen Monarchie trat die Herrschaft der Offiziere, in deren Reihen wiederum das Tutsi-Element vorherrscht.

Staats- und Regierungschef sowie Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Burundi ist der 31jährige Oberst Michel Micombero, ein Tutsi, der allerdings nicht dem regierenden Clan angehört. Micombero war als 26jähriger Hauptmann im Juli 1966 vom damaligen König Ntare V., der kurz zuvor seinen Vater Mwambutsa IV. gestürzt hatte, zum Premierminister bestellt worden. Schon im November 1966 jedoch wurde Ntare V. selbst von seinem Premier entmachtet, der die Republik ausrief, sich zum Präsidenten machte und das Land mit Hilfe eines militärischen Revolutionsrates regiert. Derselbe Ntaro V. kam Ende März aus seinem Exil in Deutschland in die Heimat zurück — die Umstände seiner Rückkehr sind in Dunkel gehüllt — und wurde ermordet. Die Rückkehr Ntares ist wohl als Katalysator für den Aufstand im April anzusehen.

Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von nur 50 Dollar pro Jahr ist Burundi eines der ärmsten Länder Afrikas. Für Belgien war es ein Reservoir billiger Arbeitskräfte für die Bergwerke in Katanga. Industrie war in Burundi zur Zeit der Unabhängigkeit nicht einmal in spärlichen Ansätzen vorhanden.

Am 1. Juli wird dieser immer wieder von grausamen Rassenkämpfen erschütterte Staat, der von Geburt an nicht lebensfähig war, das 10jährige Jubiläum seiner Unabhängigkeit feiern. In den Industrieländern des Westens und insbesondere in den weißregierten Staaten des südlichen Afrika werden Ereignisse, wie sie zur Zeit Burundi erschüttern, als Beweis dafür angesehen, daß die Afrikaner eben noch nicht reif für die Freiheit seien.

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