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Ohne Geld, ohne Haus und ohne Risiko

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Eigenwillig ist die Position des Theaters für Vorarlberg, eigenwillig seine Struktur und beides Resultat seiner Geschichte in einem Land, das lange Zeit der darstellenden Kunst kaum Spielraum ließ. Wohl gab es entsprechende mittelalterliche Bräuche, wirkte später barockes Jesuitentheater ein, zogen mit der Nationaltheaterbewegung des 19. Jahrhunderts deutsche Komödiantentruppen durchs Land und spielten in den Räumen des Bregenzer Schlachthauses, aber auf ein eigenes, ständiges Theater mußte Vorarlberg lange warten. Erst im Herbst 1945 hat der Wiener (!) Kurt Kaiser die „Vorarlberger Landesbühne“ gegründet. 1947 wurde sie in „Vorarlberger Landestheater“ umbenannt und hielt sich als landeseigene Institution bis 1948. Eine Theatergründung war überhaupt nur möglich, weil sich zahlreiche Künstlerflüchtlinge in Vorarlberg gesammelt hatten, deren Talent nicht brachliegen sollte. Als aber das Theater aus finanziellen Gründen zusammenbrach, lehnte das Land die weitere Verantwortung ab und funktionierte es in eine Privatbühne um. Fritz Klingenbeck übernahm damals die Konzession und gab der Bühne den neuen Namen: „Theater für Vorarlberg“.

Weder Titel noch Organisationsform wurden seither geändert Ein wichtiger Grund der Vorarlberger Theaterprobleme war die theaterfremde Haltung der Bevölkerung, die den Schauspieler als „zwielichtiges Element“ betrachtete. Früher bekämpften zahlreiche Laiengruppen das Berufstheater als schlimmsten Konkurrenten und boykottierten die Vorstellungen. Früher wurde der Spielplan streng beschnitten und fast jedes Stück zensuriert. Inszenierungen von „Kabale und Liebe“ oder „La Traviata“ erhielten in manchen Gemeinden überhaupt Spielverbot: weil Selbstmord unmoralisch ist, weil „den Damen beim Tanzen die Röcke in die Höhe fliegen“. Als Wanderbühne zog das Ensemble durchs Land, gastierte in Scheunen, Vereinssälen und Gasthäusern, ohne von den Gemeinden sonderlich unterstützt zu werden. Und das, obwohl die Bühne hervorragende Kräfte besaß, die sich später profilierten: Darunter Walther Reyer, der in Vorarlberg debütierte, Edd Stavjanik (Burgtheater),.. Otto Bolesch (Residenztheater München), Traute Foresti (Lyrikinterpretin), Harald Zusanek (Professor an der Wiener Filmakademie), der Dirigent Miltiades Caridis, um nur einige zu nennen. ,

Außerdem war die Landesbühne maßgeblich an der Gründung der Bregenzer Festspiele beteiligt, bildete das Ensemble doch Initiative und Basis für die ersten Veranstaltungen. Heute „darf’ das Theater - erst seit 1972 wieder - auf sanften Druck der Landesregierung bei den Festspielen mitwir- ken. Damit hat es sich auf den ersten Blick endgültig etabliert. Und die Verhältnisse des Komödiantendaseins von anno dazumal sind romantische Anekdoten, sollte man meinen. Doch dem ist nicht so. Noch immer bespielt das Ensemble als Wanderbühne die Vereinssäle verschiedener Ortschaften. Noch immer herrschen dort zum Teil katastrophale Verhältnisse. Noch immer scheren sich die Gemeinden kaum darum. Noch immer besitzt die Bühne kein eigenes Haus. Denn das Theater am Kommarkt in Bregenz ist ein städtisches Gebäude, 1955 für Theater-, Konzert- und Festspielveranstaltungen vom ehemaligen Kom- haus zu einem stillosen Musentempel umgebaut.

Ein Theater ohne Theater also, dessen Direktor als freier Unternehmer wirtschaftet, als Privatmann sozusagen. Welch schlau ausgeklügeltes System alemannischer Umsichtigkeit, das dem Land sein Theater gibt, ohne die Verantwortung zu tragen, und seine „Besitzer“ zum Sparen erzieht. Natürlich wirkt sich solch ein Umstand auf die kreative Leistung aus. Vor allem, wenn - und das ist hier leider der Fall - die Finanzierung kultureller Institutionen zu knapp bemessen ist.

Das Gesamtbudget des vergangenen Jahres - für 1978 wird es sich erfah rungsgemäß um 10 Prozent steigern - betrug 8,2 Millionen Schilling. Daran ist das Land mit einer Subvention von 4,8 Millionen, also rund 60 Prozent, beteiligt, der Bund mit nur 980.000 Schilling. Den Bregenzer Festspielen läßt er - um Vergleichszahlen zu nennen - fast neun Millionen zufließen. 20 Prozent des Gesamtbudgets werden von den Einspielergebnissen gedeckt, 60.000 Schilling werden von Firmen gespendet, den Rest bilden Zuschüsse von diversen Körperschaften und Gemeinden, darunter auch die Stadt Bregenz, die den Festspielen mit fünfeinhalb Millionen unter die Arme greift und das Theater mit 483.000 Schilling abspeist.

Auf dem Papier. De facto stimmt der angegebene Subventionsbetrag nicht. De facto bezahlt die Stadt gar keine Subvention, denn das Theater am Kornmarkt muß vom Theater für Vorarlberg für die anfallenden Aufführungen von der Stadt gemietet werden. Damit sind wir schon beim Zentralproblem, mit dem die Vorarlberger Bühne heute kämpft: Erstens steht das Haus dem Ensemble nur für fünf Probetage pro Aufführung zur Verfügung. Zweitens kostet die jährliche Miete 600.000 Schilling. Sie wird zwar von der Stadt als zusätzliche Subvention erlassen. Trotzdem laufen noch400.000 Schilling Verwaltungskosten (vom Nachtwächter bis zur Stromrechnung) an, was heißt, daß die effektive Subvention der Stadt für 1977 nur 83.000 Schilling ausmacht, nach Abführung der Lohnsummensteuer praktisch null ist. Und das, obwohl der Schwerpunkt der Vorstellungen in Bregenz liegt (zwei Drittel der Besucher kommen ins Kommarkttheater). Drittens hat das Kulturamt der Stadt Bregenz parallel zum Theater einen Gastspielbetrieb eingerichtet, nicht unbedingt als Konkurrenz, aber auf keinen Fall in Zusammenarbeit mit dem Theater für Vorarlberg, obwohl zumindest ein gemeinsames Spielplankonzept zu erwarten wäre.

Bruno Felix, seit 1970 mit der Leitung des Theaters betraut - sein Vertrag wurde heuer bis 1981 verlängert-, sieht in der Privattheaterstrukutur einen einzigen, aber wesentlichen Vorteil: die relative Unabhängigkeit der Bühne bleibt gewährleistet. So führt er in seinem Betrieb insgesamt 34 Angestellte, 16 Ensemblemitglieder, davon zehn Herren, drei Damen, zwei Regisseure und einen Dramaturgen nach eigenem Gutdünken und schließt je nach Stück und Bedarf Stückverträge mit Gästen ab. Neun Personen sind für die Technik, fünf für die Verwaltung, vier in den Werkstätten angestellt. Für

Personalkosten gab Felix im Jahr 1976/77 5,3 Millionen Schilling an. Pie Gagen bewegen sich zwischen (brutto) 7400 und 13.000 Schilling monatlich. Gäste erhalten maximal 17.000 Schilling. Eine Ausnahme bildet die jährliche Festspielproduktion, wo eine Einheitsgage von 15.000 Schilling vergeben wird. Für die Ausstattung mußte Felix 600.000 Schilling flüssig machen.

Das Äbonnentensystem erfaßt das Kornmarkttheater und die regelmäßig bespielten Ortschaften: Drei theatereigene Abonnements, ein Gewerk- Schafts- und acht Abstecherabonne- ‘ments. 150.000 Abonnenten insgesamt, wovon 22 Prozent auf das Kornmarkttheater entfallen. Die Eintrittspreise liegen dort zwischen 25 und 80 Schilling, in Abstecherorten zwischen 20 und 60 Schilling. Schüler und Pensionisten zahlen die Hälfte.

Das zu 80 Prozent ausgelastete Kommarkttheater kann 702 Personen aufnehmen, die dem Theater angeschlossene Studiobühne (zugleich Proberaum) 70 Personen. Über die Zahl der Plätze in den einzelnen Abstecherorten gibt es keine Angaben, da die Sitze ganz unterschiedlich, je nach zu erwartendem Publikumsinteresse, unmittelbar vor der Vorstellung aufgestellt werden. Die Gesamtbesucherzahl blieb in den letzten Jahren ziemlich konstant bei etwa 60.000. In der abgelaufenen Saison haben 63.491 Personen die 197 Aufführungen besucht (1976/77 waren 63.406 Personen bei 201 Vorstellungen.)

Musiktheaterbetrieb gibt es keinen, weil der finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis zum Einspielergebnis steht. In den beiden letzten Jahren wurden zwei Musicals gestartet, „Kiss me Kate“ (1976/77) und „Die Dreigroschenoper“ (1977/78). Eintagsfliegen, die sicher nicht zur Regel werden, weil sich ein für das Vorarlberger Ensemble ohne Gäste spielbares Musicalrepertoire bald erschöpfen würde.

Mit zwölflnszenierungen konnte das Theater für Vorarlberg in der vergangenen Saison aufwarten, neun davon im Abonnement, ein Märchen und zwei Studioproduktionen (das Ausweichquartier für Gegenwartsdramatik), außerdem noch die Festspielinszenierung. Dazu kommt das alljährliche Austauschgastspiel des Städtebundtheaters Solothum. Drei bis fünf Wochen werden die Stücke jeweils en suite gespielt, während parallel dazu die Proben für die nächste Inszenierung laufen.

Die Spielplanstruktur selbst bleibt im konservativen Rahmen bürgerlichen Bildungstheaters. Experimente verlegt man lieber auf die Studiobühne (500 bis 1500 Besucher pro Inszenierung), sofern man „Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilen“ von Peter Hacks oder „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett noch als solche bezeichnen kann. Auf der Hauptbühne spielt man Bewährtes. Hier reicht der Spielplan über die klassische Moderne kaum hinaus. Die Frage nach Ur- und Erstaufführungen (Boulevardtheater ausgenommen) erledigt sich.

Der Landesschulrat bestimmt den Spielplan wesentlich mit. Klassenweise werden die Schüler zur Ergänzung des Deutschunterrichtes ins Theater expediert. Die jeweiligen Altersstufen bestimmt wiederum der Landesschulrat. Damit lassen sich auch die höchsten Aufführungs- und Besucherzahlen bei den Klassikern erklären. In diesem Jahr stand „Der zerbrochene Krug“ mit 22 Aufführungen und 8538 Besuchern an der Spitze.

Von den Schülern abgesehen, setzt sich das Publikum aus der städtischen Mittelschicht und der Landbevölkerung zusammen. Es reagiert vor allem auf klingende Stücktitel und bekannte Autoren. Je bekannter die Vorlage, desto besser der Besuch.

Es allen recht zu machen - dem Landesschulrat, dem Publikum, dem beschränkten Schauspielerpotential und dem Geldbeutel - ist zweifellos nicht einfach. Trotzdem: Ein risikoloses Spielplankonzept gewinnt weder an Dynamik noch neue Publikumsschichten, bringt aber die Folgen an den Tag: Das Theater für Vorarlberg stagniert.

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