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VON NEUEN BÜCHERN

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Hermann Hess* .Glasperlenspiel* versetzt

den Leser in ein Zeitalter Jahrhunderte nach dem unseren, in dem die Erkenntnisse, hohen Gedanken und Kunstwerke der Menschheit nicht mehr dem veränderlichen Leben einer schöpferischen Periode unterworfen sind, sondern zu unlebendigen und veränderungslosen Begriffen erstarrten. Sie sind nunmehr Gegenstände einer kontemplativen Betrachtung durch die Meister eines Geheimordens, die mit ihnen wie mit Glasperlen spielen, oder so, wie ein Organist auf einer Orgel die Töne erklingen läßt. Ihr Spiel umfaßt den ganzen Kosmos als intellektuellen Besitz, der aber in erstarrter Form gleichbleibend, unveränderlich und unveränderbar ist. Zweifelsohne ist diese Periode des Lebens, wie sie die Phantasie des Dichters vor uns beschwört, eine glücklichere als die, in der wir jetzt leben, die von geistigen Krisen, Kriegen und Verfolgungen erschüttert wird, aber trotzdem eine schöpferische ist.

In diesei unserer Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts sieht Hermann Hesse den letzten Durchgangspunkt zum Zeitalter der Glasperlenspieler, in dem die schöpferischen Kräfte schon beginnen, unschöpferisch und steril zu werden. Den charakteristischen Zug dieser unserer Zeit sieht er in der Ausbildung des Feuilletons, er nennt es nach diesem das .feuilletonistische Zeitalter“. Es sei .keineswegs geistlos, ja nicht einmal arm an Geist gewesen.“ Aber — und das ist der gewichtigste Einwand gegen dieses Zeitalter — es hat .mit seinem Geist wenig anzufangen gewußt oder vielmehr, es hat dem Geist innerhalb der Ökonomie des Lebens und Staates nicht die ihm gemäße Stellung und Funktion anzuweisen gewußt.“

Das ist nun ein schwerwiegender Einwurf gegen das Feuilletonzeitalter, aber nicht der einzige. Der Dichter wirft den Feuilletonisten eine Art fabrikmäßige Erzeugung des Feuilletons vor. .Die Hersteller dieser Tändeleien gehörten teils den Redaktionen der Zeitungen an, teils waren sie .freie' Schriftsteller, wurden oft sogar Dichter genannt, aber es scheinen auch sehr viele von ihnen dem Gelehrtenstande angehört zu haben, ja Hochschullehrer von Beruf gewesen zu sein.“ Inhaltlich seien sie nichts anderes als .nichtige Interessantheiten“, und es sei ihnen eine Art von Ironie beigemischt, die geradezu dämonisch und verzweifelt zu nennen sei.

Sind es auch gravierende Vorwürfe, die hier gegen das Feuilleton laut werden, so ist doch die beherrschende, dem Zeitalter den Namen gebende Rolle, noch dazu in der Sicht vieler hunderter Jahre später, für dieses recht schmeichelhaft. Was aber die Anwürfe betrifft, so ist zu diesen natürlich zu sagen, daß es auch Stümper in ihrem Fach gegeben hat. Es gab auch interessante Persönlichkeiten, und diese sind die eigentlichen Schöpfer des Feuilletons und des ihm eigenen Stils gewesen. Die unpersönliche Nachrichtenvermittlung der Tagespresse wird plötzlich dadurch unterbrochen, daß in ihr eine Persönlichkeit das Wort ergreift und zu den Tagesfragen Stellung nimmt, aber nicht nur zu diesen, sondern auch zu allgemeinen Zeiterscheinungen, die ihr wesentlich und wichtig dünken und die man im Trubel der Tagesereignisse bisher übersehen hat: soziale und gesellschaftliche Mißstände, Veränderungen des Heimatbildes, neue Gesichtspunkte bietende Glossen zum Zeitgeschehen usw. Auch die Würdigung künstlerischer Ereignisse liegt am besten in der Hand des verständnisvollen Feuilletonisten.

Die Geschichte des Wiener Feuilletons zeigt, daß der Mann, der unter dem Strich schrieb, eine geistige Macht war. Was ein Kürnberger, ein Spitzer und ein Speidel dort zu sagen hatten, war Stadtgespräch. Aber sie waren in ihrer Weise nicht unangreifbar, sie waren Kainpfnaturen, das Führen eines Federkrieges war ihnen die Hauptsache. Sie standen damit dem Tagesgeschehen viel zu nahe, als daß der Strich, unter dem sie schrieben, als besondere Trennungslinie empfunden wurd*. Unter dem Strich wurden eben Tagesfragen in anderer, feinerer, geschliffenerer, vergeistigter Weise behandelt als ober diesem Gewiß, es gab auch lyrische Naturen, die mehr tages-abgewandte, besinnliche Töne in das Feuilleton hineinbrachten, die in Naturschilderungen und denen des kleinen Lebens der Gassen und Hinterhöfe schwelgten. Aber im allgemeinen kann man doch sagen, daß die Trennungslinie des .Striches“ nicht so scharf war, als dies für eine eigenständige Entwicklung des Feuilletons nützlich gewesen wäre

Dazu spricht vor allem, daß der Strich in vielen Fällen keine wesentliche Änderung der Sprache bedeutete. Vielfach war der schlampige, journalistische Reporterstil, ein ungenaue, unplastische, ja vielfach unrichtige Ausdrucksweise auch im Feuilleton zu finden. Er gehörte dazu, man durfte ihm die Uber-legung nicht anmerken. Dies trat erst deutlich ins Bewußtsein der Leser, als ein so unerbittlicher Sprachrichter wie Karl Kraus auf den Plan trat. Sein Kampf gegen die .Journaille“ (der Ausdruck stammt nicht von ihm, sondern von Alfred Berger) hatte neben der ethischen auch eine sprachliche Seite. Die käuflichen Kreaturen der Presse, die er in seiner .Fackel“ anprangerte, waren für ihn gleichzeitig als Sprachsünder gezeichnet. Gundolf sagte einmal in bezug auf Heine, den er den ersten Journalisten nennt, er betrete .viele Ebenen nach Willkür und zerstört damit jedes Niveau“. Und Karl Kraus spricht, ihm beistimmend, bei Heine herabsetzend von einem .Niveau des Feuilletonismus“.

Dieses Niveau zu bekämpfen, war die Lebensarbeit von Karl Kraus. Eine seiner Inschriften über .Die Sprache“ lautet:

.Mit heißem Herzen und Hirne Naht' ich ihr Nacht für Nacht. Sie war eine dreiste Dirne, Die ich zur Jungfrau gemacht.“ Eindringlicher als in diesen Verszellen konnte er sein Vermächtnis an die Schreibenden, also auch an die Feuilletonisten, nicht formen. Es ist zugleich eine Aufforderung an sie, den .Strich“ zu beherzigen, also jenen Abstand von der niemals ganz befriedigenden Reportersprache des Tagesjournalisten zu finden, der nicht groß genug sein kann, um der Sprache ihre Jungfräulichkeit wiederzugeben. Denn des ist Ja das Wunder, das uns

immer wieder am großen Stilisten ergreift: daß seine Sprache wie zum erstenmal gesprochen erscheint, so wie ein großer Bildhauer in seinem Werk das Material in immer neuartiger Weise verwandelt.

Karl Kraus sah in der schlechten Sprach das Kennzeichen einer sittlich angreifbaren Haltung. Weder diesen Satz noch seine Umkehrung kann man in seiner Einseitigkeit gelten lassen. Aber es kann der sprachliche Abstand allein nicht sein, der das Feuilleton als eigengesetzliche Kunstgattung abhebt. Auch eine seelische Wiedergeburt im Sinne einer Ablösung vom Journalismus ist notwendig. Die Feuilletonisten, die uns nach Karl Kraus direkt aus seiner Schule (es sei hier nur an den Namen Sigismund von Radecki erinnert) beschert wurden, haben eine Entwicklung des Feuilletons eingeleitet, die es auch inhaltlich weit über bloße Tagesschriftstellerei hinaushebt, die darauf aus ist, inmitten der Flucht der Ereignisse auf das Bleibende hinzuweisen und so dem Menschen als Zeitungsleser jenes Gegengewicht zu geben, dessen er als Trost und Halt bedarf.

Die Einseitigkeit des Verdammungsurteils von Karl Kraus entsprach seiner negativen Haltung, die sich nur am Widerstand entzündete. Das reinigende Gewitter seiner Kämpfe war notwendig und wird vielleicht dazu verhelfen, ein feuilletonistisches Zeitalter heraufzuführen, das im Rückblick einer Welt, die um einige hundert Jahre gealtert ist, bestehen kann, das positive und vor allem schöpferische Züge trägt, die die Welt der Glasperlenspieler nicht an ihm zu entdecken vermochte,

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