6664663-1960_26_04.jpg
Digital In Arbeit

OLIVEIRO SALAZAR / MILDER, ASKETISCHER DIKTATOR

Werbung
Werbung
Werbung

Vorweg jenem kleinen Fischchen in Olivenöl verdankt der Mann der Straße das Wissen von Portugals Dasein. Im Verzehren aber pflegt er schon zu sagen: Faschistennest, dergestalt Salazar und den 1936 durch einige JU 52 in die Weltgeschichte eingeflogenen General Franco sowie die ganze Iberische Halbinsel über den gängigen Kamm scherend. Den Besonderheiten der portugiesischen Diktatur am Rande des Kontinents auf die Spur zu kommen, ist aber nicht leicht. Nach 30jäh-riger Einmannherrschaft ist das politische Leben derart verkümmert, daß es schwerfällt, Gesprächspartner zu finden. Aber es ist beileibe nicht Angst, wie im benachbarten Spanien, die mundfaul macht. Portugals Polizisten tragen keine Waffe. Salazars Regiment ist ohne Schrecken, es beruht eher auf der sanften Gewalt einer Gouvernante.

In diesem 9-Millionen-Land wurden niemals Juden verfolgt, in seinen Kolonien gibt es kein Rassenproblem. Die große Frage bleibt daher offen: Ist Salazar schuld, daß Portugal sich von der Unordnung der modernen Welt, ihrem sozialen Aufruhr, den gefährlichen ideologischen Mythen und trügerischem Fortschritt ferngehalten hat? Jedenfalls vergessen schnellfertige Kritiker die Voraussetzungen dieser Diktatur im elfenbeinernen Turm, wissen nicht mehr, daß diese Nation 1911 bis 1926 acht Präsidenten, 34 Regierungen, 23 Aufstände und Staatsstreiche genossen hat und 325 Bomben in Lissabon geworfen wurden. Salazar und Portugal ähneln einander wie ein Tropfen dem nächsten. Die Zeit wird zeigen, wer recht hat: wir oder sie.

Die Biographen haben ihn vernachlässigt, so daß man weder seines 70. Geburtstages noch seiner 30jährigen Herrschaft gedachte. Er selbst hat nur spärliches Material vermittelt. Geht ihm doch jenes farbige Moment ab, das seine Vorgänger von Alfonso di Albuquerque bis zum Marquis de Pombai so sehr auszeichnete. In Salazars Leben hatten kein Drama, kein Melodrama Platz. Er hatte seinen Landsleuten zugemutet, sein Wirken als eine Art höhere Fügung hinzunehmen, und vergessen, daß niemand sich dem dauernd unterwirft. Er wird respektiert, aber nicht mehr bewundert, obwohl sein Vorrat an Weisheit unerschöpflich scheint. Von Zuneigung sind die Gefühle der Portugiesen längst frei. Der noble Herr mit dem schmalen Gelehrtengesicht lebt unverheiratet in mönchischer Strenge allein seinen Regierungsgeschäften, er verwaltet zu genau, zu gut und regiert zu wenig. Viel Schreibtischarbeit und wenig Schaustellung, kein Kontakt mit der Straße — der „pedantische Buchhalter der Nation“, von Beruf Professor für Nationalökonomie.

Er wurde in der Nähe von Santa Comba in der Provinz Beira geboren, als Sohn hart werkender Landbesitzer. Zum Priester bestimmten ihn die Eltern, aber er fühlte sich nicht berufen und ging auf die Universität. Achtundzwanzigjährig bekam er eine Professur. Die Putschregierung des Generals Gomes de Costa zettelte 1926 das 23. Pronuncia-mento an und holte ihn als Finanzminister. Das Land stand vor dem Bankrott. 1932 fiel ihm mit dem Amt des Ministerpräsidenten die totale Macht zu. Die Macht verdarb ihn nicht. Salazar blieb der gleiche durch dreißig Jahre. Er ordnete die Finanzen und machte den Escudo zum Pyrenäendollar. Dann baute er den Staat nach den korporativ-ständischen Ideen der katholischen Soziallehre, unter weitgehender Ausschaltung der demokratischen Rechte, um. Der einsame, gelehrte Diktator weiß genau, daß seine einst begeisternden Parolen verdorrt sind. Eine neue Generation ist herangewachsen. Das weichherzige, gefügige Volk, dessen Armut nie anklägerisch ist, läßt sich leicht regieren. Diese „Diktatur“ kommt ohne Todesstrafe aus. „Ich wünschte sehr, daß alle, die auf die Höhen der Würden und der Macht hinaufgetragen werden oder die einmal die Gunst der Massen genossen haben, ein wenig über die Passion Christi nachdächten“, so sagte es der Präsident, dessen Formulierungen von bestechender Diktion sind. Mit Salazars Tod wird seine Idee sterben. Was dann in diesem liebenswerten Land kommt, das auf seine Weise als unversehrte Individualität am Rand einer Welt erhalten blieb, die sonst überall genormt ist, weiß niemand. Den Nachruf auf den noch Lebenden aber formulierte ein Mitglied der geheimen Opposition: „Salazar ist sicher eine der größten Figuren in unserer Geschichte, doch das Volk wird ihn nicht mehr haben wollen, selbst wenn er wieder-aufersteht.“ f. s.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung