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Randhemerkunaen zur woche

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GUTE REISE UND GLÜCKLICHE HEIMKEHR, HERR KANZLER! Das ganze österreichische Volk ist in diesen Wünschen vereinigt, wenn am Ostermontag Bundeskanzler Raab mit seiner Begleitung die Fahrt nach Moskau antritt. Hoffnung, Friedenssehn-sucht und Furcht schwingen in den Wünschen mit. Seit 1917, da zu Homburg im deutschen Hauptquartier bei Kaiser Wilhelm II. der junge österreichische Herrscher seinen vergeblichen Friedensversuch zur Beendigung des ersten Weltkrieges unternahm, hat es keine so spannungsgeladenen Apriltage gegeben wie die der kommenden Woche. Die Thematik der Aussprache wird in Moskau in jenen Verhandlungsgegenständen gipfeln, die Bundeskanzler Raab mit einer jede Bezweifelung ausschließenden Klarheit bezeichnet hat: Wiederherstellung der Freiheit Oesterreichs durch die Beendigung des Besatzungsregimes, Ablehnung von Militärbündnissen und jedweder fremder militärischer Stützpunkte, also sowohl im Westen wie im Osten, Unabhängigkeit nach allen Seiten hin sowie Herstellung entsprechender Bürgschaften. Soweit es auf Oesterreich ankommt, sind sie seitens Oesterreichs bereits eindeutig gesichert. Aber diese Bürgschaften, sollen sie effektiv sein, werden von allen Signataren des Staatsvertrages zu erstellen sein. Der Schwerpunkt der Entscheidungen wird zufolge der letzten Kundgebung der Westmächte liegen auf der Formulierung der von den vier Mächten zu verbürgenden Freiheit und Unabhängigkeit Oesterreichs und gleichzeitig auf einer präzisen Erklärung des österreichischen Willens, sich von-militärischen Verpflichtungen an das Ausland fernzuhalten.

ALSO DOCH: DIE AXT AM OPERNRING! Das ist der bestürzende Eindruck, der sich nach verschiedenen Veröffentlichungen der letzten Tage der Wiener Oeffentlichkeit bemächtigt. Als „Die Furche' mit ihrem Offenen Brief an den Bürgermeister der Bundeshauptstadt Alarm gab („Die Furche“, 5. März 1955), geisterten nur Gerüchte durch die Stadt. „Einige wenige“ Bäume der Wiener Prachtstraße — so hieß es damals — müßten den Anforderungen des modernen Verkehrs weichen. Nun ist die Katze aus dem Sack: 3 5 Alleebäume sollen der Axt verfallen! Mit anderen Worten: Großrodung am Opern- und Kärntner Ring! Die Argumente, die dafür ins Treffen geführt werden, sind reichlich demagogisch. Alleebäume, heißt es, hindern im modernen Verkehr die Sicht und seien eine häufige Ursache von Verkehrsunfällen. Lieber 35 tote Bäume als 35 tote Menschen! Wenn die Alternative wirklich richtig wäre, dann herein mit den Holzhackern nach Wien. Nicht ruhen und nicht rasten, bis die Stadt ihres letzten Baumschmuckes ledig ist ... Aber zurück zu unserem „Offenen Brief an den Bürgermeister von Wien“. Er blieb bis zum heutigen Tage ohne Antwort —wenn man nicht die Verlautbarungen der letzten Tage als solche werten will. Wir bedauern dieses Schweigen des Bürgermeisters, den wir bisher Joch als einen höflichen Mann gekannt haben. Wir wiederholen: die Axt am Opernring, aus „zwingenden verkehrstechnischen Ucberlcguugen“ angelegt, wäre der Anfang vom Ende der Wiener Ringstraße, wie wir sie heute kennen und lieben. Wir können es — auch heute noch — nicht glauben, daß der Bürgermeister von Wien den Ruf auf sich nehmen wird, das Stadtoberhaupt gewesen zu sein, unter dem die Devastation der Ringstraße ihren Anfang nahm. Die Verstümmelung der Wiener Ringstraße muß am Widerstand aller Menschen, die ihre Stadt lieben, scheitern. Alle Institutionen und Organisationen, die sich die Erhaltung Wiens zur Aufgabe gemacht haben — die politische Einstellung spielt dabei keine Rolle —, müssen sofort Maßnahmen ergreifen, um der drohenden Axt am Opernring Einhalt zu gebieten.

DER ZEITUNGSLESER IN DEN ÖSTLICHEN NACHBARSTAATEN Oesterreichs fand in letzter Zeit in seinen Journalen Leitartikel über die Moskaureise des österreichischen Bundeskanzlers, ebenso wie der Zeitungsleser in Paris, London oder New York. Hier wie dort standen die Namen österreichischer Politiker in den Schlagzeilen, hier wie dort wurde das noch ungelöste Problem Oesterreich den Lesern in Erinnerung gerufen. Es ist freilich klar, daß die „gute Presse“, deren sich Oesterreich gegenwärtig in den Ländern des Ostblocks erfreut, nichts mehr (aber auch nichts weniger) zeigt als den gegenwärtigen Stand eines weltweiten Schachspiels, bei dem der eine Partner auf einmal mehr Rücksicht auf die lokalen, sogar psychologischen Auswirkungen seines Zuges nimmt als der andere. Die Sache hat aber noch eine andere Perspektive, und diese könnte man mit der folgenden Frage andeuten: Wie denkt jener Zeitungsleser in Budapest, tu Prag usw. darüber? Es wäre irrig, anzunehmen, daß es in den Volksdemokratien keine öffentliche Meinung gibt und daß sich die dortigen Regierungen eine Mißachtung dieser öffentlichen Meinung auf längere Sicht leisten können. In der Atmosphäre der Unruhe, ja der offenen Vertrauenskrise, in welcher die ungarische Volksrepublik ihren Staatsfeiertag soeben mit großer äußerer Pompentfaltung, mit Militärparade und nächtlichem Feuerwerk beging, fielen bemerkenswerte Worte seitens Mathlas Rakosis. Sie zeigen, daß selbst dieser robuste Mann sehr wohl um die öffentliche Meinung besorgt ist. Er sprach davon, daß bis heute nur 30 Prozent des ungarischen Bauernbesitzes in den landwirtschaftlichen Kollektiven zusammengefaßt sei und daß es noch jahrzehntelang Hunderttausende von selbständigen Bauern in Ungarn geben wird. Aehnliche Zugeständnisse an die Wirklichkeit müssen und mußten die kommunistischen Planer auch auf anderen Gebieten und in anderen Ländern machen. Was nun Oesterreich betrifft, gibt es heute nur wenige Anhaltspunkte, kraft derer die öffentliche Meinung in den ehemaligen Nachfolgestaaten, auch Oesterreich betreffend, erforscht werden könnte. Wie dem aber auch sei: die österreichische Regierungsdelegation in Moskau muß es wissen, daß die Menschen in diesen Ländern in einem freien, und unabhängigen Oesterreich die Gewähr dafür sehen, daß die Stacheldralttgrenze auch für sie einmal, und zwar ohne Atombombe, verschwinden wird und daß die Zweiteilung unseres Landes das Gegenteil dessen ankündigen würde. Die Blicke richten sich heute auch in Budapest, auch in Prag nach Moskau.

FRIEDE IN EUROPA, KR/EG IM OSTEN? Die zunehmende Konsolidierung der europäischen Lage läßt die Politiker und Militärs in den Vereinigten Staaten immer schärfer nach Ostasien blicken. Um den 15. April werden dort rotchinesische Vorstöße gegen die Formosa vorgelagerten Inseln Matsu und Quemoy erwartet. Die USA befinden sich hier in einer heiklen Situation: ihre westlichen Verbündeten wollen dieser Inseln halber keinen Weltkrieg riskieren, die Vereinigten Staaten aber fürchten, wenn sie diese Inseln aufgeben, in Asien als ein „papierener Tiger“ ihr Gesicht zu verlieren, nachdem gewisse militante Kreise es an Drohungen an die Adresse Chinas nicht haben fehlen lassen. Der Chef der Flottenoperationen, Admiral Carney, vertrat vor Journalisten die Auffassung, die Vereinigten Staaten müßten den Nationalchinesen im Falle eines Augriffes auf diese Inseln beistehen und in den Kampf mit Atomwaffen eingreifen, und zwar nicht nur auch in großräumigem Einsatz, um das Industriepotential des kommunistischen China zu zerstören. Carney und die aktivittischen Militärs um ihn werden von einer Gruppe republikanischer Senatoren unterstützt, der Präsident Eisenhower, deutlich abgeneigt den Argu-

Meuten der Scharfmacher, bisher widerstanden hat. Anders ist allerdings die Haltung des Staatssekretärs Dulles. Die Demokraten haben sich deshalb entschlossen, den innerpolitischen Kampf gegen die „Kriegspartei“ mit aller Schärfe aufzunehmen. Einigermaßen beruhigend ist das Wissen um die Tatsache, daß der nüchterne, kluge Ceneralstabschef der Armee, Ridgway, Gegner dieser gefährlichen Treiber ist, die mit Carney an der Spitze die Mobilmachung der USA fordern mächten. Die amerikanische Oeffent' lichkeit hat sich bisher durch diese Kämpfe in den Lüften nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Die grof!e Masse des amerikanischen Volkes geht ruhig den Geschäften nach, will es mindestens nicht ernst nehmen, daß Leute um einen sehr hohen Preis spielen. Das würde rasch anders werden, würde das ungeheuerliche Unternehmen, von dem jetzt die Rede ist, wirklich in Szene gesetzt werden: großangelegte Atomabwehrübungen, denen die Räumung einer ganzen Anzahl großer amerikanischer Städte vorangehen soll. Da sowohl namhafte Republikaner wie Demokraten und Heerführer wie MacArthur und nicht wenige Gleichgesinnte gegen einen Krieg mit China und dessen unabsehbare Folgen sind, wird das Aeußerste, wie man erwarten kann, vr mieden werden, zumal London nichts unversucht läßt, um Schlimmes zu verhüten. So werden wohl die Eisenfresser gebändigt werden. Zu welchem bedenklichen Maße der Glaube an die eigene Omni-potenz bei heutigen großen Akteuren der Welt-politik gediehen sein kann, zeigen die Aeußerungen, die Staatssekretär Dulles am 29. März gelegentlich der Tagung der außenpolitischen Kommission des Senats über die Wiederherstellung der Souveränität der deutschen Bundesrepublik machte. Wie der Washingtoner Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ berichtet, erwiderte auf die Frage des Senators Humphrey, welche Garantien dafür bestünden, daß ein wiedervereinigtes Deutschland nicht eines Tages der NATO den Rücken kehre: Auf Grund des Artikels II der revidierten Bonner Konvention hätten die Westmächte das Recht, in der Frage der Wiedervereinigung mitzureden, wenn sie es wollten. Die Bedingungen der Wiedervereinigung müssen jedenfalls für sie annehmbar sein, wenn auch die Deutschen nach Inkrafttreten der Pariser Ver. ttäge souverän seien. Und Dulles erklärte rund heraus, die Westmächte könnten auch den Deutschen direkte Verhandlungen mit den Sowjets über die Wiedervereinigung „verbieten, wenn sie das wollten“. — Das sind merkwürdige Töne. In Bonn dürfte man sich die Souveränität nach Unterzeichnung der Pariser Verträge anders vorgestellt haben.

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