Otto Breicha, Elias Canetti, Elfriede Gerstl - Der österreichische Kulturpublizist und Kunstkurator Otto Breicha (links) fotografierte die Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur auftraten, etwa 1966 Elias Canetti (Mitte) oder 1971 Elfriede Gerstl (rechts) im Cafe Meierei im Volksgarten. - © Fotos:  picturedesk.com / brandstaetter images / Otto Breicha

Österreichische Gesellschaft für Literatur: „Sie war nie weg. Da ist sie wieder.“

19451960198020002020

Es gab nichts Vergleichbares im Wiener Kulturleben, als vor über 60 Jahren die Österreichische Gesellschaft für Literatur gegründet wurde. Erinnerungen von Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern.

19451960198020002020

Es gab nichts Vergleichbares im Wiener Kulturleben, als vor über 60 Jahren die Österreichische Gesellschaft für Literatur gegründet wurde. Erinnerungen von Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern.

Werbung
Werbung
Werbung

Als die Österreichische Gesellschaft für Literatur im November 1961 gegründet wurde, gab es im Wiener Kulturleben nichts Vergleichbares. Quasi auf dem Reißbrett war im Unterrichtsministerium eine Institution entworfen worden, die die zentralen Aufgaben des zu dieser Zeit nur in Rudimenten existierenden Literaturbetriebs übernehmen sollte. Die dafür in einem Innenstadtpalais angemieteten Räumlichkeiten waren klein, die Arbeitsbereiche hingegen kaum zu überblicken: Sie reichten von der Förderung und Präsentation österreichischer Gegenwartsliteratur über die Herausgabe von Publikationen oder die Zusammenarbeit mit Verlagen, Buchhandlungen, Zeitungen und Zeitschriften bis hin zur Kooperation mit Kulturinstitutionen und Vertretungsbehörden im Ausland. Zu den 20 Punkten des allerersten „Arbeitsprogramms“ gehörten aber, wie Hans Haider, selbst Mitarbeiter von 1972 bis 1974, schreibt, auch „so spezielle wie ‚Lesungen im Sommer auch in Kurorten‘, ‚Kontakte mit Blindenbibliotheken‘, ‚Lesungen österreichischer Autoren in Großbetrieben (Fabrikskantinen etc.)‘, ‚Beratung Programm Österreich Wochen im Ausland‘“.

Persönlichkeiten

An der Spitze der Literaturgesellschaft stand von der Gründung bis in die 1990er Jahre Wolfgang Kraus (1924–1998), seine Nachfolgerin war Marianne Gruber, seit 2014 darf ich diese Institution leiten.

Wolfgang Kraus, Theaterwissenschaftler, Autor, Verlagslektor, Journalist, Kritiker und vielbeschäftigter Wien-Korrespondent zahlreicher deutscher Zeitungen, galt als „graue Eminenz“ (Reinhard Urbach) der Kulturpolitik:

Mir schien, als walte eine Art Hohepriester und Zeremonienmeister auf dem Podium seines Amtes, der für die Feierlichkeit des Geschehens Sorge trug. [...]
Dieser Mann war, wie ich alsbald erfuhr, Dr. Wolfgang Kraus.
In weltläufiger Souveränität stellte er seine Gäste vor, sprach von deren Werken und seinen daraus gewonnenen Eindrücken und Einsichten, war dabei viel mehr als ein Zeremonienmeister: Er glich einem verständnisvollen König, der illustreste Gäste aus Nah und Fern an seinen schöngeistigen Hof geladen hatte, um mit diesen vor einem ehrfürchtigen und bewundernden Publikum gehaltvolle Zwiesprache zu pflegen.
(Kurt Neumann)

Allemal nahm ich Wolfgang Kraus als eine ‚Institution’ wahr, und ich fühlte mich nachdrücklich geehrt von seinen Einladungen, vergleichbar mit einem ‚Ritterschlag‘. (Manfred Chobot)

Das Interieur: etwas barock und etwas überladen. Wolfgang Kraus passte da ganz hervorragend hinein. In jeder Faser seines Daseins vermittelte sich mir etwas von der Behaglichkeit, die er in dieser Umgebung an sich selbst empfand, und jeder Satz, den er sprach, schloss mich davon aus. (Klaus Kastberger)

Reinhard Urbach, der von 1968 bis 1974 in der Literaturgesellschaft tätig war, ehe er die „Alte Schmiede“ gründete (später war er unter anderem Chefdramaturg im Burgtheater und Leiter des Theaters der Jugend), beschreibt einige der neben Kraus zentralen Figuren in den Teams der 1960er und 1970er Jahre so:

Die Chefin
Ohne Hella Bronold (1915-2002) ging gar nichts. Die Tür zu ihrem Büro stand offen, sie hatte alles unter Kontrolle. Hinter und neben ihrem Schreibtisch waren immer zwei Sessel frei, wo man in der Früh Kaffee trank, zu Autorenbesuchen zugezogen wurde. Wolfgang Kraus gegenüber war sie nicht demütig, sondern respektvoll und leicht ironisch [...].


Otto Breicha (1932-2003)
Er war von Anfang an dabei. Als Hof-, eigentlich Pawlatschen-Fotograf, denn die Fotos entstanden meistens auf dem Umgang vor den hinteren Fenstern, und als Betreuer der jungen Autoren [...].
Er lachte gern und laut. Er aß soviel, wie er schrieb, war überwältigend fleißig. Lachend erzählte er von einem Koch, der aus der Küche kam, um ihn anzuschauen, der eben ein zweites Brathendl bestellt hatte.


Gerhard Fritsch (1924-1969)
Er hat sich ständig übernommen. Mild und beflissen verrichtete er Brotarbeiten zum Überleben. Drei Dissertationen soll er für andere geschrieben haben, seine eigene Promotion brachte er nicht zustande. [...]


Kurt Benesch (1926-2008)
Kurt Benesch war ein Schelm und Spottvogel. Einmal oder zweimal in der Woche kam er und organisierte das „Forum der Jugend“. In einem Abstellkammerl gab es eine Zwischendecke. Dorthin zog er sich zurück, um vor Zudringlichkeiten – welcher Art auch immer – geschützt zu sein. Das war die „Benesch-Höhe“. [...]

Gäste

Sylvia Peyfuss, von 1964 bis 1994 Mitarbeiterin der Literaturgesellschaft, erinnert sich an die besonderen Gäste, die das Büro betraten:

Ich erinnere mich: Manès Sperber setzte sich zu mir ins Vorzimmer – komplett in Mantel und mit Baskenmütze – und diktierte sehr schnell ein Schriftstück. (Ich war ziemlich aufgeregt.)
Ich erinnere mich: Es läutet, ich drücke den Knopf und herein SCHREITET mit seinen wasserblauen Augen H. C. Artmann.
Ich erinnere mich an das schüchterne erstmalige Eintreten von Peter Handke.
Ich erinnere mich an die faszinierende Persönlichkeit von Albert Paris Gütersloh oder die elegante Erscheinung von Hilde Spiel, aber auch an die Stillen wie Doris Mühringer oder Andreas Okopenko.
Ich erinnere mich an die handschriftlichen Briefe von Heimito von Doderer, sehr leserlich in regelmäßigem Schriftbild und in drei Farben: Tinte in blau, rot, grün.

Im Zentrum vieler Erinnerungen stehen besondere Lesungen.

Canetti, der Stimmenimitator, zauberte die Personen seines Dramas hervor, machte sie lebendiger, als es wahrscheinlich Schauspieler vermocht hätten, von einer Figur sprang er zur anderen, die Stimmenflut eines Wortjongleurs, ein Schauspieler-Ensemble in einer Person, durch eine Stimme. (Helmut Peschina)

Elias Canetti las zwischen 1963 und 1978 zwölfmal in Veranstaltungen der Literaturgesellschaft, als einer von – in über 60 Jahren – fast 10.000 Auftretenden. Die von Helmut Peschina miterlebte Lesung des Theaterstücks „Die Hochzeit“, am 12. März 1969, ist von der Österreichischen Mediathek aufgenommen worden, man kann sie, wie zahlreiche andere Veranstaltungen der Literaturgesellschaft, über deren Webseite kostenlos im Internet nachhören.

Sie war nie weg ...

Jahrzehnte später ist die Österreichische Gesellschaft für Literatur als Teil eines lebendigen, vielgestaltigen Literaturbetriebs aktiv wie eh und je. Heute ist sie unter anderem für bis zu 90 Veranstaltungsabende jährlich verantwortlich, vergibt Übersetzungsstipendien und ist in die Betreuung der Österreich-Bibliotheken eingebunden.

Die Österreichische Gesellschaft für Literatur, die schneller und umfassender als andere Literaturveranstalter den Weg in digitale Ersatzangebote gesucht hatte und sich in ihrer 60-jährigen Geschichte in zahlreichen neuen Konstellationen und anderen Rollen wieder von vorne an behaupten lernen musste, ist [...] wieder an Ort und Stelle aufzufinden [...]: „Sie war nie weg. Da ist sie wieder.“ (Gerhard Ruiss)

Der Autor leitet seit 2014 die Österreichische Gesellschaft für Literatur.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung