Der Drang zu Drogen

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Es müssen keine besonderen Schicksalsschläge sein, die Menschen in die Sucht treiben. Es ist meist die Unfähigkeit, mit normalen Alltagsproblemen fertig zu werden.

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Es müssen keine besonderen Schicksalsschläge sein, die Menschen in die Sucht treiben. Es ist meist die Unfähigkeit, mit normalen Alltagsproblemen fertig zu werden.

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Winterspaziergang im Ressel-Park in Wien, gleich neben der U-Bahn-Station Karlsplatz. Nur wenige Leute sind hier - plötzlich eine flüchtige Berührung an der Schulter, eine Stimme: "Brauchst was?" Eine ziemlich junge Stimme. Der schmächtige Bursch, in einen blauen Anorak gepackt, entfernt sich schnell, dreht sich nicht mehr um. Hat wahrscheinlich schon bemerkt, daß ihm niemand folgt und aus dem erhofften Geschäft nichts wird.

In der U-Bahn-Station vor allem geschäftige Menschen, die zu ihren Zügen rennen. Und ein paar, die sichtlich immer hier sind, weil sie sonst nirgends ein Dach über dem Kopf haben. Das gibt es anderswo auch. Was aber wirklich auffällt: Zwei Uniformierte, die ihre Runden drehen, und ein paar Leute in Zivil - auch Polizisten? - die herumstehen, als ob sie auf irgend etwas warten. Die "Szene" spielt sich auch hier nicht vor aller Augen ab. Immerhin beruhigend: Heute kein Krankenwagen zu sehen, kein Noteinsatz. Im Augenblick nicht.

Nur ein "Blödsinn" Szenenwechsel: Ein "Sonderkrankenhaus" irgendwo in Österreich. Sabrina, siebzehneinhalb, lümmelt auf ihrem Bett und büffelt Mathematik. "Hab' im Zeugnis einen Fleck gehabt", sagt sie. Es ist ihr sichtlich peinlich. Heuer möchte sie die Matura schaffen, dann auf die Uni und Medizin studieren. "Anderen Leuten zu helfen, das finde ich toll." Jetzt braucht Sabrina selbst Hilfe. Wie das geschehen konnte? Ihre Miene wird abweisend. Passiert ist passiert.

Sabrina paßt in keine Risikogruppe. Sie geht zur Schule, hat Zukunftspläne, lebt in einer intakten Familie. Ihre Eltern machen ihr nicht einmal jetzt allzu große Vorwürfe, sondern sorgen sich "viel zu sehr" um sie. Und der Freund? "Er kommt mich oft besuchen. Mit dem Blödsinn, den ich gemacht habe, hat er nichts zu tun." Es ist das einzige Mal, daß Sabrina von sich aus erwähnt, daß es außer dem Fünfer in Mathe noch ein Problem in ihrem Leben gibt. Den "Blödsinn", durch den sie hier gelandet ist.

"Eine übergeordnete Theorie zur Erklärung der Sucht gibt es nicht", bestätigt Max Leibetseder, Psychotherapeut und Mitarbeiter der Drogenberatung in Salzburg. Es müssen keineswegs besondere Schicksalsschläge sein, die Menschen in die Sucht treiben. Weit eher ist der inadäquate Umgang mit Problemen des täglichen Lebens ausschlaggebend: die mangelnde Fähigkeit, alltägliche Enttäuschungen zu verarbeiten. Oder - so war es wohl bei Sabrina -Partylaune, Neugier, Kritiklosigkeit, Mitmachen-Wollen. Und die Überzeugung, daß alles nur ein Spiel ist, aus dem man jederzeit aussteigen kann. Weil man gesund ist, sich stark fühlt, für das Gegenteil einer "suchtgefährdeten Persönlichkeit" hält.

Viele glauben das sogar noch, wenn sie bereits längere Zeit Drogen nehmen. Mitschuld daran ist ein verbreitetes Mißverständnis: Daß bestimmte Drogen - vor allem Haschisch und Marihuana - "nicht süchtig machen". Tatsache ist: Sie machen nicht körperlich abhängig. Der Organismus braucht den Stoff auch nach häufigem Konsum nicht, das Aufhören führt nicht zu Entzugserscheinungen - so gesehen, erscheinen solche Drogen harmloser als das "legale Suchtmittel" Alkohol. "Unabhängig davon kann es aber zu einer psychischen Abhängigkeit kommen", betont Max Leibetseder. Zu einem schwer kontrollierbaren, triebartigen Verlangen nach der Substanz. "Das ist bei der Therapie das viel größere Problem." Körperliche Entzugserscheinungen lassen sich gut medizinisch behandeln; das Verlangen zu überwinden, ist weit schwerer. Jeder "echte" Raucher, der schon versucht hat, aufzuhören, weiß das.

Selbst wenn der Ausstieg fürs erste geschafft ist, besteht immer noch die Gefahr des Rückfalls. Das kann mit dem Bekanntenkreis des Patienten zusammenhängen, mit Personen aus der "Szene", die Druck ausüben - es muß aber nicht so sein. Ähnliche Lebenssituationen lösen ähnliche Reaktionen aus, im Extremfall auch den Rückfall in die Sucht. Suchtpatienten müssen daher zuerst lernen, mit ihren immer wiederkehrenden Alltagsproblemen anders umzugehen. Dabei hilft die Therapie.

Schwäche-Zeichen Von sich aus beginnen nur wenige mit einer Behandlung: Mit Fortschreiten der Suchterkrankung läßt die Motivation nach. Persönliche Interessen werden immer weiter abgebaut, bis sich alles nur noch um die Droge dreht. Dazu kommt, daß der Gang ins Beratungszentrum ein Eingeständnis ist; der eigenen Schwäche - aber auch einer Straftat, auf die Gefängnis steht. "Wer freiwillig zu uns kommt, kann anonym bleiben", beruhigt Max Leibetseder. Schon draußen vor dem Haustor erkennt man, daß Diskretion hier über alles geht: Nur "Amt der Landesregierung" steht auf dem Türschild, sonst nichts.

Es gibt hier nur Patienten, keine Kriminellen - selbst dann nicht, wenn bereits der Staatsanwalt im Spiel war. Die meisten, die kommen, wurden schon einmal "geschnappt". Die Therapie ist ihre Chance, der Bestrafung zu entgehen. "Ich will es jetzt wirklich schaffen", sagt einer. Daß es so nicht weitergeht, hat er schon lange gewußt. Er brauchte aber einen Anstoß von außen, um etwas zu ändern.

Das Bewußtsein "Ich bin süchtig" reicht dafür fast nie. "Damit sich jemand zu einer Therapie entschließt, muß schon ein konkreter Leidensdruck dazukommen", so Leibetseder. Der Verlust von Freunden, Interessen, wichtigen Lebenszielen. Probleme am Arbeitsplatz, Geldsorgen, Depressionen, körperliche Beschwerden.

Auch das Schockerlebnis, plötzlich "im Kriminal" zu stehen, kann heilsam sein - was nicht heißen soll, daß die Strafdrohung aus therapeutischer Sicht unbedingt nötig ist. Wie überhaupt großer Leidensdruck das Gegenteil bewirken kann: Daß sich die Spirale weiterdreht und der Patient noch tiefer in die Sucht hineinrutscht.

Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Therapie ist: Das Umfeld muß stimmen. "Wichtig ist, daß die Angehörigen besonnen reagieren und nicht in Panik verfallen", so Max Leibetseder. Und daß sie lernen, zu differenzieren: "Klar, daß sie mitleiden, sich vielleicht auch schuldig fühlen. Trotzdem haben sie ein Recht auf ein eigenes, positives Leben."

Manchmal brauchen sie therapeutische Hilfe, um mit der Situation fertig zu werden. Leibetseder: "Wir beraten auch Angehörige kostenlos". Die große Gefahr: Daß auch sie zu Opfern werden. Damit ist niemandem gedient, auch nicht dem Suchtkranken. Im Gegenteil - er braucht Motivation, Anregung, positive Impulse aus seiner nächsten Umgebung". Den Entschluß zum Aufhören kann dem Kranken niemand abnehmen; weder wohlmeinende Mitmenschen noch der Strafrichter. "Die betroffene Person ist gefordert, etwas für sich selbst zu tun." Wenn sie sich dazu durchringt, kann sogar in fortgeschrittenen Stadien noch eine Änderung herbeigeführt werden".

Pro und Kontra: Drogenfreigabe Laut Umfragen kennen rund 40 Prozent der österreichischen Jugendlichen jemanden, der bereits Drogen konsumiert hat. Rund ein Sechstel gibt an, selbst einmal Drogen "probieren" zu wollen.

Der Drang zu Drogen beziehungsweise die Sucht ist also etwas, das nicht nur immer "den anderen" und "irgendwo anders" passiert. Das Problem existiert überall - auch abseits von der offenen "Szene". Wie soll die Gesellschaft mit diesem immer offensichtlicher werdenden Problem umgehen? Härtere Sanktionen androhen?

Eine Frage, die in diesem Zusammenhang immer wieder zu Diskussionen führt, ist die der kontrollierten Freigabe von (bestimmten) Drogen, um die Komsumenten zu entkriminalisieren oder sie auf diese Weise vom Konsum härterer Drogen abzuhalten. Der kontrollierte Drogenbezug würde, so die Hoffnung, letztlich auch den Dealern die Geschäftsgrundlagen entziehen.

Die Gegner einer Freigabe befürchten allerdings den Anstieg des Gesamtkonsums. Ähnlich wie beim Alkohol würde es außerdem vermehrt zu kriminellen Taten unter Suchtmitteleinwirkung kommen.

E. T.

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